Posts mit dem Label Hardwicke werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Hardwicke werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Juni 19, 2014

Zuletzt gesehen: HANSEL AND GRETEL (1982)

Obgleich unlängst auf einigen Filmseiten das Gegenteil behauptet steht, galt Tim Burtons Disney-TV-Special Hansel and Gretel nie als verschollen, sondern wurde lediglich vom Regisseur selbst unter Verschluss gehalten. Erst für dessen populäre Ausstellungen im MOMA bzw. der Cinémathèque Française gab er jenes kuriose Frühwerk frei, das nach seiner einzigen Ausstrahlung an Halloween 1983 ausschließlich in filmwissenschaftlichen Kontexten (und damit so gut wie gar nicht) verfügbar war. Eine kleine Sensation ist die nun in Umlauf gebrachte VHS-Aufnahme der selbstverständlich sehr sonderbaren Grimm-Adaption aber dennoch – und mich hat die Nachricht auch regelrecht vom Stuhl gehauen, so ich damals einzig für diese 35 Minuten gar einen Trip nach Paris in Erwägung zog (ja ja, ein wahrer Fan hätte das wohl getan, usw.usf.). Die Sichtung habe ich jetzt tatsächlich mehrere Tage lang vor mir her geschoben, einerseits aus Ehrfurcht, andererseits dem wohligen Gefühl, sich einen Burton-Film einfach auch aufheben zu können – wenn man ihn braucht, ist er nun da. Und geht nicht mehr weg.

Hansel and Gretel markiert in vielerlei Hinsicht einen Meilenstein in Tim Burtons Karriere. Es war seine bis dato längste Produktion ebenso wie der erste Film, für den der einstmalige Disney-Zeichner und Animationsregisseur mit Schauspielern arbeitete. Vielleicht im Wissen, mit ebendiesen ohnehin nicht konventionell umgehen zu können, zumindest aber dergestalt zu verfahren, wie es das Disney-Network wohl von ihm erwartet haben mag, entschied er sich für eine merklich bizarre Yarō-Kabuki-Interpretation des Märchens: Die bekannte Geschichte "nach verschiedenen Erzählungen aus Hessen" besetzte er ausschließlich mit japanischen Darstellern, von denen Michael Yama sowohl Hänsels und Gretels Stiefmutter als auch die böse Hexe (mit Zuckerstangen als Nase und Krückstock!) mimte. Es ist erstaunlich zu sehen, wie Burton schon anno dazumal queere Konzepte an manierliche Familienunterhaltung zu binden verstand, und auch Gepflogenheiten eines Konzerns (hier: Disney) zu unterwandern, ohne sie dabei zwangsläufig radikal zu destabilisieren – was ja eben bereits auf die viel zitierte "Subversion im Mainstream" verweist, die Burton später als eine Art auteuresken Schlüssel zum Erfolg nutzen wird.

Das TV-Special selbst verbleibt als ulkige Persiflage klassischer Kindergeschichten natürlich als das, was es ist: eine Fingerübung, eine Aneignung visueller Gestaltungswerkzeuge (Stop-Motion im Realfilm, On-Set-Tricks, Dekorverfremdung), eine erste Probe aufs Exempel, mit bereits allen ästhetischen Erkennungszeichen, von eigensinnigen Spiral- und Schachmustern bis zu langen Schatten, die hier von hageren Studiobäumen ohne Ast und Laub geworfen werden. Im orgiastischen Finale, das mit richtungslos umher geschmissenen Farbbeuteln, einer Kung-Fu-Einlage (die Hexe wirft essbare Ninja-Sterne und kämpft mit einem Nunchaku) sowie Unmengen an Glibberschleim herrlichsten Nonsens auffährt, scheint Tim Burton, der seinerzeit so unzufriedene Disney-Zeichner, erstmals ganz zu sich selbst zu finden. Und dass das nun endlich auch für jedermann einseh- und nachvollziehbar ist, stimmt mich höchst zufrieden.

(Randnotiz: Catherine Hardwicke, Regisseurin des ersten Twilight, kreierte für den Film einige Modelle und erhielt dafür die allererste Abspannnennung ihrer Karriere)

(Randnotiz 2: Vincent Price wird in der IMDb als Erzähler geführt, doch zumindest in der jetzt einzig verfügbaren Fassung fehlt diese Rahmung bedauerlicherweise vollständig)

Dezember 31, 2008

Kino: TWILIGHT

Das bisschen Popkultur-Prosa, das heute so die Bestseller- listen anführt, ist mit Literatur ja selbst kaum mehr noch in einen semantischen Zusammenhang zu bringen. Kürzlich erst, anlässlich der Kino-Adaption von "Tintenherz", galt es sich noch über den Erfolg der unlogischen Trivialromane von Cornelia Funke zu wundern, da steht schon die nächste Konvertierung vom jungen Erfolgsbuch zum Erfolgfilm ins Haus: Die Teenie-Schmonzette "Twilight", powered by Jugendbuchautorin Stephenie Meyer, wurde von Catherine Hardwicke zu einer Kinoversion umgemodelt, die in den USA ein Vielfaches ihrer Kosten wieder eingespielt hat. Ein richtiger Hit also, die pubertäre Vampirromanze.

Irritierend allerdings, in jeder Hinsicht. Schon das Summit- Entertainment-Logo zu Beginn wirkt, nun ja, ein wenig trashig - gleichwohl die Independent-Schmiede sich mittlerweile mit Edel-Camp wie "Never Back Down" zumindest finanziell "gemausert" hat - und diesen Eindruck vermag die ebenso unbeholfene wie arg videomäßige Inszenierung in den folgenden zwei Stunden auch nicht so wirklich zu widerlegen. Der Film soll 37 Mio. Dollar gekostet haben, in seinen besten Szenen sieht er gerade einmal nach 10 Mio. aus. Aber gut, das ist nur der äußere Schein - sei's drum, wenn Hardwicke hier eine hübsche Blutsauger-Geschichte zu erzählen hat, dann soll die Ästhetik ruhig mal hinten anstehen.

Doch das Plotchen, in dem sich ein Mädchen in einen Jungen verliebt, der aber ein Vampir ist und sie deshalb nicht küssen, geschweige denn entjungfern mag, dieses Gemisch aus Romeo-und-Julia-Plattitüden und einfallslosen Zitaten des stilbildenden Teen-Vampirfilms "The Lost Boys" ergibt eine inhaltlich einschläfernde und ideologisch äußerst bizarre Biedermeier-Schnulze, die dann doch schickes Bildwerk und ein sicheres Händchen benötigt hätte. Hardwicke setzt den mädchenhaften Impetus des Stoffes zwar ambitioniert mit viel Seitenrascheln um, und gewiss: darin wird das Hitpotential gelegen haben, aber das zähe - nicht etwa bewusst kontemplative, stilsichere oder einem bestimmten sinnlichen Erzählrhythmus dienliche - Dahinplätschern der denkbar unaufregenden Geschichte ist schon irgendwie ziemlich scheiße.

Vor allem, weil sich "Twilight" sehr wichtig vorkommt mit dem, was er da verhandelt: Dem romantischen Leiden des Vampirs, der keine Körperlichkeit besitzt, und den semi-erwachsenen Adoleszenznöten des Mädchens, das ja auch irgendwie nur ein Vampir sein möchte. Die unfreiwillige Unterdrückung sexueller Lust scheint bei Hardwicke jedoch zum Segen verkommen, so denn der Film nichts anderes als Enthalt- samkeit beschwört. Und da erinnert man sich dann irgendwie wieder an ihren letzten Film, an den Bibel-Trash "The Nativity Story", der ein fröhlich-misogynes Loblied auf Zwangs- verheiratung einstimmte, und der auch erklären mag, warum Hardwicke sich wohl für den Stoff empfohlen haben könnte.

Immerhin unterhält "Twilight", vielleicht gerade weil er zutiefst sexuelle Motive mit bravem Kitsch zu verdrängen sucht, gelegentlich durch eine amüsante Absurdität: Schließlich ist Edward, der schöne High-School-Nosferatu, faktisch schon ein uralter Sack, weshalb seine so qualvolle Anziehungskraft zur minderjährigen Bella (!) auch als unfreiwillig originelle Variation einer pädophilen Zuneigung verstanden werden kann. Natürlich muss man sich derlei im Subtext zusammen spinnen, der glatte und keimfreie PG-13-Grusel würde ja im Traum nicht auf die Idee kommen, seine eigentlich gar nicht so uninteressanten Ansätze ein wenig zu phrasieren. Ein Trost vielleicht: Die komplexe Version eines ähnlichen Stoffes gibt es im Kino momentan mit "Let the Right One in" zu be- wundern.


40% - erschienen bei: DAS MANIFEST