Dezember 15, 2011

Kino: LET ME IN

Vor drei Jahren begeisterte das schwedische Horrordrama "Let the Right One in" hierzulande die Besucher des Fantasy Filmfests und kurz darauf auch ein vergleichsweise breites Kinopublikum. Besonders international erregte die Roman- verfilmung Aufmerksamkeit, ihr seither gefragter Regisseur Tomas Alfredson stellte mit dem umjubelten "Tinker, Tailor, Soldier, Spy" jüngst seinen ersten englischsprachigen Film in Venedig vor. Keine Frage also, dass das skandinavische Vampirmärchen vorher noch für untertitelfaule US-Zuschauer neu aufbereitet werden musste.

Die Geschichte blieb erhalten, ihr Kern nicht. Angesiedelt nun im New Mexico der Früh-80er (diesmal extra mit Zeiteinblendung), erzählt das Remake noch einmal von der Annäherung des schüchternen Jungen (Kodi Smit-McPhee) und dem ewig 12jährigen Mädchen (Chloë Grace Moretz aka. Hit-Girl). Zwischen Schulhänseleien und adoleszenten Gewaltfantasien, triebhaftem Blutdurst und stiller Sehnsucht nach Liebe entwickeln die ungleichen Kinder eine tiefe Beziehung zueinander. Und im Fernsehen läuft Ronald Reagan.

Glücklicherweise verschwendete Alfredson weder Zeit noch Talent, das Remake seines Erfolgsfilms selbst zu inszenieren. Mit ähnlichen Versuchen, ein Bein in die Hollywoodtür zu setzen, scheiterten schließlich kommerziell und künstlerisch zuvor schon nordeuropäische Kollegen wie Ole Bornedal ("Nightwatch"). Vielleicht wäre "Let Me In" ein interessanterer und sinnfälligerer Film, hätten tatsächlich Alfredson und sein Autor John Ajvide Lindqvist ihren Stoff spezifisch amerikanisch neu interpretiert, aber das muss Spekulation bleiben.

Natürlich darf erst einmal jeder Film noch mal gemacht werden, kann jede Geschichte wieder und wieder erzählt werden. Grundsätzlich spricht gewiss nichts dagegen, ein Meisterwerk wie "Let the Right One in" neu zu verfilmen. Selbst oder vielleicht gerade in den makellosesten Höhepunkten des Kinos verbergen sich immer noch neue Blickwinkel, durch die sie gesehen werden können, und im besten Falle ja eben auch eine Mehrdeutigkeit, die andere Perspektiven geradezu herausfordert.

Alfredsons erschütternd profunde Coming-of-Age-Horrorstudie hätte durch einen ergänzenden (kulturell anders verorteten) Ansatz theoretisch gar noch gewinnen können. Im Idealfall. Matt Reeves jedoch scheint vom Film so angetan gewesen zu sein, dass er ihn einfach noch mal selbst drehen wollte, die eigene Unzulänglichkeit mit fremdem Können gedeckelt. Sogar das könnte ja, in einem ideellen Sinne, noch von gewissem Reiz sein, als präzises Shot-by-Shot-Remake beispielsweise, um schlicht hervorzuheben, was besser eben nicht mehr möglich sei.

Dem Regisseur der ulkigen Wackelkamerainvasion "Cloverfield" aber will einfach nicht viel einfallen, von den beschriebenen Konzepten ist Reeves weit entfernt. Manches stellt er eins zu eins nach, anderes verschlimmbessert er, und die Wesentlichkeiten der Vorlage hat er sogar überhaupt nicht verstanden. Seine Adaption des Drehbuchs (nicht des Romans) tilgt fleißig die Subtilitäten der Vorlage und bügelt sie in einer Mischung aus Nachstellungsgestus und Weichspülung des Materials glatt und geschmeidig. Die sonderbare Abgründigkeit des Originals weicht den irritierenden Überbleibseln einer US-Konvertierung.

Fast alles an diesem Film ist unecht, die zurechtgestutzte Freundschaft der Kinder ebenso wie der Schnee, in dem sie spielen. Das Vampirmädchen hüpft nun wie eine Computerspielfigur über Bäume und Dächer, und die Geschlechterfrage spielt sowieso keine Rolle mehr – die Großaufnahme eines jugendlichen Schambereichs mag man prüden US-Zuschauern schon gar nicht zumuten. Zur Eindeutigkeit verdammt letztlich auch die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern: Des Mädchens greiser Freund ist eben ganz klar nur ein solcher, der Vater des Jungen wiederum spielt sogar fast gar keine Rolle.

Und weil die amerikanische Angleichung/-passung auch bildästhetisch "funktionieren" muss, wurde das kühle Blau des Originals durch ein saftiges Braun-Orange ersetzt, das die Geschichte mit vertrautem Colorgrading an den Rand der sehgewöhnlichen Banalität visualisiert. Klar auch, dass künstliche Linsenreflexionen da dann nicht fehlen dürfen, Reeves hat die J.J.-Abrams-Schule schließlich nicht grundlos als Jahrgangsbester absolviert. Dem offenbar einzig auf eine Konventionalisierung der Vorlage abzielenden Simplifizierungs- konzept des Films wird somit immerhin optisch entsprochen – auch (k)eine Leistung.


30% - erschienen bei: gamona