Dezember 16, 2007

Kino: THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES...

"... by the Coward Robert Ford" – das ist ein ganz schön langer Titel für einen ganz schön langen Film. Und er verrät auch bereits die ganze Geschichte mitsamt ihres Ausgang. Aber das ist ohnehin von nicht allzu großem Belang, denn Andrew Dominik geht es in seinem gerade erst zweiten Spielfilm mehr um den Heldenmythos seiner Figur, um eine Neuausrichtung des Genres und das Festhalten eines ganz bestimmten Moments, eines Moments im ausklingenden 19. Jahrhundert, wo ein Feigling sein Idol erschoss. Allerdings eines der Westernidole schlechthin: Thomas Howard – Jesse James.

Brad Pitt spielt diese Figur als Ikone, die sich majestätisch über ihr Umfeld positioniert und die Entstehung als eigene lebende Legende mitverfolgt. Dem Stolz seines Jesse James ist eine verkümmerte Todessehnsucht gleich. Ganz so als wüsste er vom Ende seiner Karriere, vom baldigen Abgesang, steht er zwischen weiten Gräsern, blickt auf sein gespiegeltes Ich im Eis und verweilt in seinem Garten, eine Zigarre rauchend, auf den Tod wartend. Dieser Mann ist 34, doch seine bewegte Geschichte steht ihm ins Gesicht geschrieben: Es wirkt wie das Gesicht eines welken Antihelden.

Dominiks Neuinterpretation basiert auf einer 1983 veröffentlichten Literaturvorlage und unterscheidet sich merklich vom verklärenden Grundtypus vergangener Jesse James-Bearbeitungen. Dieser gebrochene Räuber und Mörder hat nichts Ehrenwertes mehr an sich, ist niemand, der ein klassisches Amerika vor seinem Frühkapitalismus schützt, der Banken und Züge überfällt, um zu einer Outlaw-Legende des kleinen großen Privatmannes zu reifen – und doch ist er ein Star, ein früher Popstar sozusagen. Er ziert die Titelseiten der Zeitungen, liefert Stoff für Comics, Geschichten, Erzählungen über ihn. Und er hat Fans, Verehrer, so wie den jungen Bob Ford, der seiner Bande angehört, aber beständig an seine Unfähigkeit erinnert wird. Er steht im Schatten des Jesse James, obwohl er genauso groß ist, genauso blaue Augen hat und seinem Idol doch sowieso ebenbürtig sei, wie er es eines Abends am Essenstisch verkündet. Was nur Gelächter erntet.

Der Film streift sein anfängliches Bild, geprägt von einem dicht inszenierten nächtlichen Zugüberfall, immer nur beiläufig, aber die vermeintliche Heldenbande um Jesse James skizziert er als ziellose und verwirrte Gruppe brutaler Taugenichtse. Diese Männer sind keine ritterlichen Geber, die den Vormarsch der Industrialisierung mit südstaatlichem Post-Bürgerkriegseifer zu bekämpfen versuchen, um die Habseligkeiten der ‚großen’ an die ‚kleinen’ zurückzubringen. Auch wenn der Film die Verklärung seines untersuchten Mythos’ selbst zugeben muss, sei es in der Presse, der Rechtssprechung oder der Kultur – schließlich wird all das Gesehene zu einem Stück trivialen Theaters verkommen –, achtet er ganz bewusst darauf, neue Blickwinkel auf Jesse James und seine Mitstreiter zu schaffen. Denn indem diese Gefolgschaft in sich verraten und zersetzt endet, kreiert der Film auch eine Metapher für die Unaufhaltsamkeit der Moderne, deren Züge sprichwörtlich längst am Anrollen sind. Man hat hier eine Meditation über den Western vor sich, die bald zum Abgesang werden muss.

Dies übernimmt zu einem wesentlichen, wenn nicht dem wesentlichsten Teil des Films die Bildsprache. "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" nennt Bilder sein eigen, die man in dieser Form noch nicht gesehen haben dürfte. Sie werden durchbrochen von Licht, immer wieder, immer und überall, es flutet die dichten Wälder bei Nacht, es strahlt die kargen Bäume kurz vor der Hinrichtung an, es reflektiert am ewigen Eis und an sonnengelben Kornfeldern. Man meint den winterlichen Schnee spüren und die Ernte riechen zu können, die diese Bilder ablichten. Sie erinnern an die Kompositionen eines Terrence Malick, und sie brechen mit optischen Western-Klischees weiter Prärien, unendlicher Länder und daraus abgeleiteter Freiheit.

Besonderen Fokus aber legt Dominik dabei gar nicht zwangsläufig auf seine mythische Figur, sondern widmet sich sorgfältiger deren Anhänger Ford. Dieser ist weniger Feigling, als selbst bestimmter Schmied des eigenen Glücks. Er kämpft an der Seite seines Vorbildes, bis er ihm schließlich den Rang einer Legende abzunehmen versucht. Hier erweist er sich zumindest in einer Hinsicht als würdiger Nachfolger: So wie Jesse James mitunter weniger Energie in seine Straftaten zu stecken, als vielmehr die eigene Reputation zu organisieren scheint, so reift Ford vom Zeitungssausschnitte sammelnden Bewunderer zum eigenen Objekt der Begierde, zumindest in der Versuchung. Freilich ist Casey Affleck hier eine Sensation, mit welch steinerner und zugleich zarter Mimik, verschlossener Hilfsbedürftigkeit und unberechenbarer Handlungskraft er die unsichere Möchtegern-Legende verkörpert, mit welch unterdrücktem Hass seine Blicke erfüllt sind, wie sie gleichermaßen auch eine unausgesprochene Liebe zum Idol auszustrahlen meinen, das wird zweifellos zu den nennenswertesten schauspielerischen Leistungen des Jahres gehören.

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford schließlich gleicht eher einer freiwilligen Vollstreckung. Dem Blick nach Erlösung scheint hier Rechnung getragen, es ist, als wenn Jesse James dem Tod schon so lange ins Gesicht hatte blicken wollen. Seine Kraftlosigkeit durchzieht jedes Bild des Films, sowie jede Einstellung, in der vergeblich ein Stück Lebensenergie zurückerlangen will. Doch weder das traute Heim, noch die spielenden Kinder oder sublime Anziehung zum Ziehjungen Ford sind Ansporn genug. Die tragischste Figur ist überdies ohnehin der ungekrönte Westernheld Ford, der auch nach seiner Tat nur weiterhin Gegenstand einer ständigen Verballhornung sein kann. Ein Verlierer davor und danach, sogar den eigenen Abgesang darf er abends in der Trinkerspielunke über sich ergehen lassen. Und so wird ein Akt, der neue Helden hervorbringen sollte, zum persönlichen Lebenstrauma: Über 200mal spielt Ford die Ermordung auf der Bühne nach. Am Ende war’s dann doch nur großes Theater, die Legendenmär.


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