April 16, 2009

Kino: THE BOAT THAT ROCKED

Lediglich zwei Stunden Popmusik in der Woche mag die BBC ihren Hörern im Jahre 1966 zumuten – und das ausgerechnet in England, wo der Rock’n’Roll mit stilprägenden Bands doch derweil seine innovativste Phase durchläuft. Da die staatlichen Sender das rockwillige Publikum also im Stich ließen, suchte sich die zeitgenössische Musik ihre eigenen Wege und Wellen: Radio Rock, der größte Piratensender des Landes, schickte all die Kinks, Turtles und Stones von hoher See aus in die Transistorradios der Nation – und entwickelte sich rasch zur meistgehörten Radiostation der Insel.

Natürlich erwies sich der Rockkanal bei den entsprechenden Behörden als Dorn im Auge. Gesetzlich waren private Sendeanstalten verboten, doch die Piraten sendeten die neuesten Platten der Pop- und Rockbewegung nicht vom Festland, sondern einem gigantischen Dampfer vor der Nordseeküste aus. Gegen die Lücke einer rechtsfreien Zone will deshalb niemand so sehr vorgehen wie der zuständige Minister (als irritierende Hitler-Karikatur: Kenneth Branagh), der mit allen Mitteln verhindern möchte, dass die seetaugliche DJ-Crew weiterhin teure Kanäle blockiert.

Der Film nutzt diese auf Tatsachen basierende Idee (reales Vorbild war Radio Caroline) für eine ansonsten wenig akkurate, romantische und selbstredend unbekümmert verklärende Rückschau auf das Lotterleben der Radio- moderatoren, ihre weiblichen Groupies und das allgemeine unbeschwerte Lebensgefühl von freier Liebe und ganz viel noch freierer Rockmusik. Im Mittelpunkt steht dabei der 18-jährige Carl (Tom Sturridge), den seine Mutter in die Hände des Onkels (Bill Nighy), dem urigen Boss des Senders, und damit direkt auf das Schiff der Träume entlässt – neben allerlei Abenteuern soll der schüchterne Junge dort auch die erste große Liebe finden.

Richard Curtis, der Briten liebster Regisseur für heitere Nostalgie und romantische Komödien, hat nach "Tatsächlich Liebe" erneut mit großem Ensemble einen wirkungsvollen Feel-Good-Stoff auf die Leinwand gezaubert. Fast keine Szene, in der nicht irgendein Rocksong das richtige Gefühl vermitteln soll, nahezu keine Figur, die nicht nur Überbringer diverser Drehbuchgags sein darf, und überdies eine Geschichte im Mittelpunkt, die eigentlich keine ist, sondern nur für viele Einzelepisoden um den gemeinsamen Nenner genügt: Rock. So wie er leibt und lebt.

"Radio Rock Revolution" ist sorgenfreie Unterhaltung mit sympathischem Musikappell und bestens aufgelegtem Cast, allen voran Nick Frost, der auch ohne Simon Pegg als wunderbar kauziger Komödiant mit gutem Timing besteht, und Philip Seymour Hoffman als bierbäuchigem Radiohost. Der Film versprüht in seinen besten Momenten viel gefakten nostalgischen Charme und rührige Botschaften für ein Miteinander im besten Rocksinne: "Father and Son" stimmt Cat Stevens an, wenn eben Vater und Sohn im großen Finale die besonders ans Herz gewachsenen Platten im sinkenden Schiff zu retten versuchen.

Der Film unternimmt jedoch keinerlei Versuche, etwas Tatsächliches über seine Musik zu erzählen, über ihre Bedeutung oder den gesellschaftlichen Wandel etwa, sondern imitiert auf eine zwar ulkige, aber eigentlich ungemein oberflächliche Art die üblichen Zeitgeistklischees. Das Rockphänomen wird hier letztlich auf Posing, hübsche Mädchen und Männerbündel herunter gebrochen, um eine austauschbare Story mit dem nötigen Soundtrackschmiss aufzupeppen. In dieser Hinsicht ist „Radio Rock Revolution“ kein Vergleich etwa zum ebenso beseelten wie klugen "Almost Famous – Fast berühmt".

Richtiggehend öde wird die Musikkomödie, wenn Curtis seinen Radiopiraten partout kein Ende gönnen möchte. An gefühlten 20 Stellen ist die ohnehin recht dünnflächige Geschichte spürbar fertig erzählt, der vermittelte Spaß ausreichend erschöpft und überhaupt der soundsovielte schwungvolle Rocksong über die soundsovielte Montage gelegt. Aber dennoch folgt auf jede Abblende noch ein Nachschlag hier und ein weiterer Gimmick dort, bis aus einem amüsanten 90Minüter schließlich eine über zweistündige zähe Nummernrevue entsteht, die einem letztlich eigentlich so gar nichts zu sagen hat.

"Radio Rock Revolution" gefällt als launige und sympathische Ode an die Klischees der Rockbewegung, lädt dabei stets zum Mitschunkeln ein und vereint ein liebenswertes Ensemble. Unterm Strich hat der Film allerdings weder etwas zu erzählen, noch vermittelt er dem Zuschauer das angepriesene Lebensgefühl in einer Weise, die wirklich ansteckend wäre. Und dramaturgisch geht das "Boat That Rocked" – so der Originaltitel – schließlich schon nach etwas mehr als der Hälfte sang- und klanglos unter.


50% - erschienen bei: gamona