Der Titel des Films suggeriert, die Handlung würde sich um Kyms Schwester Rachel drehen, doch die Perspektive dieses Familiendramas ist stets die der heimgekehrten Tochter, die über die harmonischen Multikulti-Feierlichkeiten wie ein Orkan hereinbricht: Die enorme innere (An)Spannung in "Rachel Getting Married" generiert Regisseur Jonathan Demme, der nach seinen Oscarhits "The Silence of the Lambs" und "Philadelphia" vor allem Dokumentarfilme inszenierte, mithilfe einer ständig bewegten digitalen Handkamera, die den Film ästhetisch im Heimvideo-Bereich zu verorten sucht. Doch nicht nur der gefakte Authentizitätslook, der den an und für sich klassisch aufbereiteten Stoff eines Familienmelodrams in unmittelbare Nähe rückt, verleiht Demmes Film eine fiebrige Intensität. Mehr noch vermittelt der Umgang mit Anne Hathaways zentraler Figur in Beziehung zum Familienensemble ein beklemmendes Gefühl.
Schließlich droht durch Kyms Besuch der familiäre Status Quo, auf den besonders bei Familienfesten Verlass sein muss, ins Wanken zu geraten, weil auch die Erinnerungen an eine gescheiterte Erziehung und das Unglück der Vergangenheit aufkeimen. Ein Unglück, das der Film von Anfang an immer wieder andeutet und umkreist, ehe er den elliptischen Dunstkreis lüftet. Stück für Stück reißen die alten Wunden auf, hagelt es Vorwürfe und Schuldzuweisungen, fließen Tränen, Blut und irgendwann auch wieder reinigendes Wasser, wenn sich Kym in einem bewegenden Moment unter der Dusche von ihrer Schwester wäschen lässt – das Nacktmachen Hathaways ist hier einmal mehr beliebtes dramaturgisches Werkzeug, um die Seele der Figur freilegen und schauspielerisch alles aufbieten zu können. Wirklich groß ist die bislang viel zu oft auf holzschnittartige Konfektions- ware mäßiger Hollywood-Comedies festgesetzte Hathaway aber auch angezogen: Mit rotzigem, tieftraurigen Blick und zotteligen Strähnchen spielt die ihre bislang komplexeste, beste Rolle.
Weniger komplex hingegen sind die eigentlichen Familien- probleme, die auf Rachels Hochzeit nach und nach ins gegenwärtige Bewusstsein vorrücken. Was das große Drama lange ankündigt, entlädt sich schließlich in recht banalen und brav verhandelten Schicksalsereignissen, deren verstörenden Charakter die als vermeintlich intim ausgestellte Kamera lieber nicht in den Fokus rücken mag. Gegen Thomas Vinterbergs verstörendes "Festen" oder selbst "A Wedding" von Robert Altman, dem sich Demme im Abspann zu Dank verpflichtet fühlt, wirken die Familienprobleme in "Rachel Getting Married" ziemlich normal und rechtfertigen den enorm nieder- schlagenden Tonfall des Films mitsamt seiner forcierten Konflikte letztlich zu keiner Zeit. Und noch weniger den Versuch, dem Geschehen stets einen friedvollen Charakter verleihen zu wollen, wenn die Hochzeit zur großen ethnischen Kuschelparade mit beschwingter Hawaiimusik gerinnen soll. Weniger dramatische Aufladung und ein Mehr an belassener Normalität hätten dieser Hochzeit zumindest ganz gut gestanden.
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