November 10, 2007

Kino: ATONEMENT

Sobald diese Frau auf der Bildfläche erscheint, gehört ihr, ihr ganz allein die ganze große Leinwand. Keira Knightley hat es, das gewisse etwas, sie ist so grazil und edel, so anmutig und schön wie fast filigran. Ihre flachbrüstige, kokette Ausdruckskraft lässt immer wieder an Audrey Hepburn denken, doch der Vergleich allein wird ihr nicht gerecht. Es war Joe Wright, der aus Knightley das rausholte, was weder die Piraten der Karibik noch König Arthur auch nur im Ansatz schafften: Diese junge Frau kann spielen, kann mit wenigen Gesten höchste Präsenz einfordern, selbst nebst so talentierten Herren wie Matthew Macfadyen oder nun James McAvoy. Und mehr noch: Sie schultert ganze Filme mühelos, mit einer Leichtigkeit, einer Ungezwungenheit, die schlicht und ergreifend wunderbar ist, ganz besonders wunderbar.

Nach "Pride and Prejudice" steht sie erneut unter der Regie von Wright vor der Kamera, wieder ein Kostümfilm, wieder nach einer Literaturvorlage. Doch nicht Jane Austen lieferte den Stoff für das dramatische, dreiaktige Kabinettstück aus Intrigen und Verzweiflung namens "Atonement" – Abbitte –, sondern der Brite Ian McEwan. Ein Engländer also, schon wieder.

Der Film erzählt zunächst ein fast klassisches Landhausdrama. Der englisches Adel steht im Mittelpunkt, 1935 das Jahr: Ein kleines Mädchen (Saoirse Ronan) hegt große Gefühle für den Sohn des Haushälters, den charmanten Robbie (McAvoy). Doch Briony hat abgesehen vom Offensichtlichen wenig Chancen bei ihrem Schwarm, der nicht nur mit ihrer Schwester Cecilia (Knightley) anbandelt, sondern im Eifer des Gefechts auch gern mal obszöne Liebeswünsche per Post verschickt: "In my dreams I kiss your cunt, your sweet wet cunt.". Der Unmut aus langsamer sexueller Reife und unerwiderter Liebe artet schließlich in einer fatalen Beschuldigung aus: Briony gibt gerichtlich zu Protokoll, dass Robbie die minderjährige Cousine vergewaltigt habe – wohl wissend, dass dem nicht so war.

Was folgt ist ein radikaler Szenenwechsel. Bis hierher erstrahlte "Atonement" in sanftmütigen, betörend weichen Bildern, wirkte unbeschwert und leicht in Szene gesetzt. Lange noch bleibt die Eingangssequenz in Erinnerung, in der Briony ganz erregt über ihr erstes geschriebenes Drama durchs Haus läuft, untermalt von einem mindestens so einfallsreichen wie wunderschönen Musikscore, der in seine Pianoklänge schnelle rhythmische Tipplaute einer Schreibmaschine einflechtet. Wright ist hier in seinem Element, die visuellen Ideen sind wagemutig, frisch und modern, ganz so verspielt also wie in seinem Vorgänger "Pride and Prejudice". Die Kamera gleitet fast schwerelos durch Räume und über Felder, und eine mehrere Minuten andauernde, ohne Schnitte vollzogene Fahrt am Strand von Dünkirchen gerät mit meisterlicher Präzision schlicht großartig.

Da befindet man sich dann schon im zweiten Drittel, das den lädierten Robbie als Kriegsgetriebenen zeigt, nachdem er vier Jahre unschuldig im Gefängnis saß. Spätestens hier jedoch – zuvor war "Atonement" zwar geschickt, aber auch recht belanglos – bricht der Film ein. Der große Krieg nach dem kleinen Liebesdrama überfordert Wright, das übersteigt die Fähigkeit des Films, wirkt fremd, nicht gekonnt und zusehends langatmig. Es fällt schwer der bis dato zweigeteilten Romanze zu folgen, weder wurde McAvoys Figur ausreichend Raum zugesprochen, als diese gleich die Hauptlast der Erzählung zu tragen vermag, noch können die parallel eingestreuten Herzschmerzblicke der Knightley für nachvollziehbare Herbstromantik sorgen. Ganz deutlich pendelt der Film hier im nirgendwo, weiß offenbar nicht wohin die Reise gehen soll und bleibt aufgrund seiner blassen Charaktere und dem kaum entwickelten Figurendreieck Briony-Cecilia-Robbie ohne Belang – trotz vielen hübschen inszenatorischen Einfällen, beispielsweise der immer wieder unterschiedlichen Variation des Schreibmaschinentippens, simuliert mal als Geräusch eines Zuges, dann wieder als anknipsende Lampen eines langen Flurs.

Schließlich kehrt "Atonement" erneut zur Briony-Figur zurück, die mittlerweile erwachsen geworden ist, als Krankenschwester arbeitet und mit den inneren Dämonen ihrer schrecklichen Kindstat zu kämpfen hat. Diese letzte Drittel ist schwungvoller in Szene gesetzt, indes aber auch interessanter, da diese Figur anfangs mit verhältnismäßig größerer Sorgfalt vorgestellt wurde – ihre weitere Entwicklung also von größerem Belang ist, als die sperrige Liebesgeschichte. Dass die Erzählung jedoch auch hier unschlüssig wirkt, zusammenhangslos und lückenhaft erscheint, ist nicht von der Hand zu weisen. "Atonement", das ist spätestens dann klar, mag sympathisch und annehmbar sein, aber wirklich gut ist er nicht.

Dieses Urteil wird erschüttert, ja radikal in Frage gestellt, wenn der Film zu einem Fernsehinterview mit der ergrauten Briony (Vanessa Redgrave) schwenkt, die erst hier nun endlich ihre Abbitte leistet: Die zuvor gezeigte Entschuldigung bei Cecilia und Robbie, die glückliche späte Fügung der Ereignisse war nur ein Konstrukt, eine Fantasie jener Frau, die es in Wahrheit nicht geschafft hat, ihre Lüge aufzuklären. Hier taucht es wieder auf, das Motiv des Films, das Klacken der Schreibmaschine: Prinzipiell also hat Briony nur einen weiteren, sicherlich den Roman ihres Lebens geschrieben, und der Zuschauer war mittendrin. Jeder Vorwurf, "Atonement" sei unglaubwürdig und kaum nachvollziehbar, wird hier fast reumütig abgewiesen. Fast wirkt es so, als entschuldige sich der Film für die Fiktion, die er zwei Stunden lang bedient hat, und die eigentlich nur der Verzweiflung und dem Eskapismus einer alten Frau zuzurechen ist. Macht es sich der Stoff hier zu leicht, oder sollte man diese Ode ans Geschichtenerzählen tatsächlich als nahezu grandios feiern?

60%