Juli 08, 2008

Zuletzt gesehen: JOHNNY GOT HIS GUN

Jeder sensorische Kontakt ist ihm unmöglich, weil Joe nicht mehr hören, nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen kann. Er hat keine Arme und keine Beine, kein Gesicht und kein Raum-Zeit-Gefühl mehr. Trotzdem wird der US-Soldat im ersten Weltkrieg am Leben erhalten, weil er als Testmaterial noch dienlich sein kann – und seine Hirnrinde so irreparabel geschädigt sei, dass er ohnehin kein Bewusstsein mehr habe. Dass das anders ist, belegt die subjektive Erzählung von "Johnny Got His Gun". In assoziativen, abstrakten Ereignisketten vermengt Dalton Trumbo virtuos Traum- und Realszenen, mischt Erinnerungen hinzu, surreale Bunuel- Settings und sogar einen grandiosen Donald Sutherland als Jesus, der darum bemüht ist, Joe Fragen nach seinem Bewusstseinszustand zu beantworten (und dabei scheitert). Jede Vision, jeder Traum, jede Erinnerung findet Äquivalente im eigentlichen Spielraum, einer kleinen Abstellkammer, in die Joes Bett gestellt wurde (und die als schwarzweiß reflektierte Projektion einer möglichen Realität fungiert). Hier treffen schließlich Priester und General aufeinander, die jede Verantwortung gegenseitig abzuwälzen versuchen.

Wahrlich beachtlich, wie ein Film mit so simplen Mitteln und so reduziert eine derart adäquate, ergreifende Metapher für den Krieg finden kann, dass man alle anderen Genrebeiträge – denen die Flucht aufs Kriegsfeld auch gleich jede Sicht verstellt – guten Gewissens vergessen kann. "Johnny Got His Gun" ist ein intensiver, ein kluger, ein wichtiger Film, der verstanden hat, dass man all die genreimmanente Kriegsverklärung aus Heldenpathos und Kameradschaftstod mit einem einfachen, präzisen und einprägsamen Ansatz umgehen kann: Der Qual, nicht sterben zu können und zu dürfen, der ausbleibenden Katharsis, der absoluten Hilflosigkeit, die bleibt. Trumbos eigene Romanadaption ist durch ihren Verzicht, ihre Reduktion und ihre Aussparung nicht nur die vermutlich beste filmische Annäherung an das unfassbare Kriegssujet, sondern auch eine bedingungslose Antwort auf die immerwährende Euthanasie- Debatte.


90%