März 11, 2010

DVD: THE HOUSE OF THE DEVIL

Ja, endlich! Da ist er, der eine Horrorfilm, den das Genre alle paar Jahre zur Ehrenrettung benötigt. Der sich den Trends und Strömungen des zeitgenössischen Horrorkinos verweigert, um entweder gänzlich neue ästhetische, kulturelle oder soziale Bereiche für sich einzunehmen (was schwierig, wenn nicht unmöglich ist), oder um klassische Topoi der Horrorfilmgeschichte mit eindeutigen Referenzvorbildern aufzuarbeiten, zu bedienen und damit zu reproduzieren. Da es aber, erst recht nach Wes Cravens "Scream", schwierig scheint, das Genre nicht mit ständigen Erweiterungen hin zu Ironie, Unernst und Überlegenheit zu überdehnen, statt es auf seine unmittelbaren, bitterbösen, schaurigen Basics reduzieren zu wollen, haben sich die postmodernen Horrorfilme in einen Wettbewerb der Überbietungsstrategien begeben: Alles ist letztlich irgendwie Retro, und Retro bedeutet, so viel Wissen wie möglich auszustellen – je mehr das Zitat dem Verweis begegnet, desto cleverer das Spiel mit Genremechanismen. Reiner, ernst gemeinter Horror ist der Versicherung gewichen, alles gesehen und verstanden zu haben.

Ti West hat mit "The House of the Devil" auch einiges verstanden, aber dennoch einen der ganz wenigen Retro-Horrorfilme geschaffen, die sich in ihrer Old-School-Präsentation nicht so gefallen, dass sie diese ständig ausstellen, kommentieren und damit hinfällig werden lassen müssen, sondern ganz und gar ernsthaft als Produkt einer vergangenen Zeit wahrgenommen werden können. Und das heißt gerade nicht, dass dieser Film nun ein Fremdkörperdasein fristen müsse, weil er wie einer dieser schäbigen Sleaze-Heuler anno 1976 daherkommt. Vielmehr belegt West, dass es diese Spielart des Horrorfilms noch immer und vielleicht sogar erst recht jetzt geben kann, ohne die Verrenkungen der Ironie und des Bewusstseins, als Film an andere Filme anknüpfen zu müssen. Und vielleicht hat der junge Regisseur die Handlung deshalb in die 80er verlegt, obwohl er stilistisch die Bilder der 70er rekonstruiert, weil er sich einer eindeutigen Verortung entziehen und seinen "House of the Devil" eben doch als altmodischen und dennoch höchst gegenwärtigen – vom Genrediskurs emanzipierten – Film verstanden wissen möchte.

Die Geschichte einer Studentin, die dringend Geld benötigt und deshalb einen Babysitter-Job in einem abgelegenen Landhaus annimmt, wird ruhig, behutsam und sorgfältig gegen den zu erwartenden Schrecken ausgespielt. Etwas Teuflisches geht offenbar in diesem großen dunklen Haus vor sich, und lange Zeit bleibt unklar, mit wem oder was die junge Protagonistin schließlich konfrontiert wird, ehe sich die aufgebaute Spannung in einem verstörend bizarren wie gleichfalls konsequent simplen Finale entlädt. Dieses verlässt sich genauso wenig auf Überraschungen wie die unscheinbaren ersten zwei Drittel, denn Wests Konzept eines klaren Grusel- und Spannungskinos setzt auf gradlinigen Horror, dessen Beginn, Verlauf und Auflösung sich nicht widersprechen. Geradezu paradox erfrischend wirkt da seine zielsichere und punktgenaue Inszenierung: Mit einer klassischen Teasing-Strategie, die Schocks und Wendungen ankündigt, diese aber lediglich an die Erwartungshaltung zu knüpfen und nicht auszuspielen bereit ist. Daraus generiert der Film zuweilen echten unerträglichen Grusel, der durch den Verzicht auf Effekteinlagen über der Bild- und Tonebene unberührt bleibt. Umso unvermittelter, effektiver und ökonomischer erscheint deshalb der grandiose Schlussakt.

Dass West sich glücklicherweise gar nicht erst auf ein Verweisspiel einlässt, motiviert den Zuschauer noch mehr, sich an die Vorbilder zu erinnern. "When A Stranger Calls" fällt einem ein, "Race With The Devil" zweifellos, vielleicht auch "Phantasm". Es ist der Geist dieser Filme, der auch Wests komplett in Eigenregie (written, produced, edited and directed by) inszeniertes Schauerstück zu beseelen scheint. Die Vorbereitung und Vermittlung des Schreckens hingegen lässt zwei konkrete Vorbilder erkennen: Wie Jessica Harper in "Suspiria" wird die schüchterne, fragile Brünette hier zur Protagonistin okkulter Treiben, wie Mia Farrow in "Rosemary's Baby" zum Opfer einer teuflischen Verschwörung. Die suggestiven Schnitte und bedeutungsschwangeren Kameraeinstellungen beherrscht West schon wie einst der junge Polanski. Ohne Schnickschnack. Ohne Augenzwinkern. Das wird ein großer Filmemacher.


90% - (komplette Version) erschienen bei: DAS MANIFEST