Januar 25, 2007

Kino: DREAMGIRLS

Ein Runzeln geht durch die Kinoreihen, manche Zuschauer räkeln sich nervös in ihren Sitzen hin und her, andere schmunzeln oder stützen ihren Kopf entnervt auf ihre zu Fäusten geballten Hände: "Singen die da jetzt die ganze Zeit?" und "nicht schon wieder, ich habe bereits Ohrenschmerzen" ertönt es sinngemäß aus einigen Ecken. Für den ein oder anderen offenbar recht überraschend, ist "Dreamgirls" in der Tat ein (Film)Musical und sieht auch keinen Anlass dafür, seine Zuschauer diesbezüglich zu enttäuschen – über den Großteil der rund 135 Minuten Spielzeit wird nicht um den heißen Brei herumgeredet, sondern so voller Elan gesungen und getanzt, als ginge es um Leben oder Tod. Und das ist gar nicht so weit hergeholt: Regisseur Bill Condon ("Gods and Monsters") adaptiert das gleichnamige Broadway-Musical aus dem Jahre 1981 für die große Leinwand und inszeniert die mitreißende Geschichte vom kompromisslosen Auf- und Abstieg im Musikgeschäft mit filmischen Mitteln neu.

Dass diese in grundlegenden Zügen auf der Erfolgsstory der Motown-Band The Supremes um Frontdame Diana Ross basiert und in der Filmversion mit Kassenmagneten wie Destiny’s Child-Star Beyoncé Knowles ("Austin Powers in Goldmember"), Jamie Foxx ("Miami Vice") und Eddie Murphy (erste Assoziation noch immer mit dem "Beverly Hills Cop") besetzt wurde, ist weniger ein sonderbar mutiges Unterfangen, als die sichere Hit-Formel mit Gelinggarantie. "Chigaco", ebenfalls aus der Feder Henry Kriegers, hat es vorgemacht, auf dem Weg vom erfolgreichen Broadway-Stück zur Kinosensation regnete es zahlreiche Academy Awards, darunter für den "Besten Film". Doch dass man sich dabei auch hervorragend verkalkulieren und die Nerven des Zuschauers mächtig überstrapazieren kann, bewiesen die "from stage to screen"-Debakel "The Phantom of the Opera" von Joel Schumacher oder Susan Stromans "The Producers".

Da mögen die Zweifel beständig sein – würde man "Dreamgirls" nicht als Sensation feiern müssen. Condon erzählt nicht nur die Geschichte einer Musikband mit ihren Höhen und Tiefen, die etwaige banale Aufsteigerparabel mit all ihren Konventionen und berechenbaren Eckpunkten in der Narration, sondern vermittelt auf unnachahmliche Weise den Zeitgeist der 60er und 70er-Jahre mit seinen kulturellen und politischen Akzenten: Über die Musik. Mit feiner Genauigkeit gelingt ihm das eindrucksvolle Portrait afroamerikanischer Musiker auf dem langen Weg in die hart umkämpften und vor allem von weißhäutigen Interpreten definierten Charts. Das umfangreiche Figurenspektrum mit seinen korrupten Managern, Plattenbossen und Geldmachern untersteht stets der sicheren Hand Condons, nie verliert er den roten Faden, der die Schicksale zusammenhält, nie bewegt er sich an der Oberfläche, weil der stille Zauber des Films allgegenwärtig ist: Musik als Lebensgefühl und Status Quo zugleich übersteht selbst die schwersten Lebenskrisen.

Aus diesem Grund muss man sich vom Überschuss der Energie freimachen, in dem man all den Schmerz und all das Verlangen einfach geradewegs hinausschreit. Das darf im Film vor allem die übergewichtige Effie White (das grobe Kinopendant zu Florence Ballard), gespielt von der "American Idol"-Finalistin Jennifer Hudson, die auch die eigentliche Hauptdarstellerin in "Dreamgirls" ist. Als Leadsängerin der Dreamettes wird sie durch ihre Kollegin Deena Jones (Knowles) in den Background ausgewechselt und später sogar gänzlich aus der Band sortiert, was zu einem handfesten Streit auf der Bühne führt. Dieser wird in seiner ganzen emotionalen Breite durch expressive Gesangseinlagen aller Beteiligten ausgefochten und durch ein energetisches Solo der verzweifelten Effie beendet – eine Szene voller Leidenschaft und Theatralik, die den Zuschauer durch eine ausgeklügelte Kamerachoreographie tief in das Geschehen zieht und lang anhaltende Gänsehaut garantiert.

Spätestens in Momenten wie diesen sind alle Dialoge unnötig, so viel mitreißender Einblick in das Herz des Kinos ist einem nur selten vergönnt. Hudsons Performance ist schlicht atemberaubend, so ungezwungen und natürlich, so voller Kraft und Gefühl, dass ihr alle erdenklichen Preise überreicht gehören. Die im Film bebilderte Verschmelzung vom ursprünglichen Rhythm'n'Blues mit dem gelackten Pop des weißen Publikums mag den wahren Soul verraten haben, im Kino jedoch erlebt das Musicalgenre derweil eine neue Sternstunde: Das lässt zwar nicht vergessen, wie glanzlos die Black Music später verkommerzialisiert wurde (und entbehrt angesichts der Hauptdarsteller, die mit ihren eigenen Chartbeiträgen daran durchaus entfernt beteiligt sind, nicht einer gewissen Ironie), darf aber Anlass sein, ihre Seele zumindest noch einmal auf der Leinwand in aller Pracht und Fülle zu feiern. Wen kümmert es da, wenn durch die Kinoreihen jenes leise Runzeln geht?!

75%

Review erschienen bei: Wicked-Vision.de