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April 02, 2011

Kino: WINTER'S BONE

Mit Filmen wie diesem verhält es sich immer relativ gleich: Unabhängig und kostengünstig produziert, gelingt es einigen wenigen unter ihnen, von einem Festivalpublikum und der entsprechenden Kritik wahrgenommen zu werden, um dann die Erfolgstreppe hin zu den hiesigen Filmpreisverleihungen hinaufklettern zu dürfen. Es gibt sie jedes Jahr aufs Neue, in der Regel kommen sie aus Sundance. Meist werden sie dann als Perlen des amerikanischen Independent-Kinos gefeiert, ernten prominenten Zuspruch und garantieren gut besuchte Programmkinos. Wenn ein Low-Budget-Film wie "Winter's Bone" für verschiedene Oscars nominiert wird, steht er plötzlich neben Hollywood-Prestige-Produktionen wie "The King's Speech" oder "Inception", hat es also von ganz unten nach ganz oben geschafft.

Seine irgendwann vielleicht einmal künstlerische Unabhängigkeit spielt dann keine Rolle mehr, weil er sich plötzlich dauerhaft in einem Umfeld kalkulierter Filme bewegt, die gedacht sind, ein breites Publikum mit verkleideten Konventionen zu erreichen, um diese nicht selten gewinnbringend in ihren Ansichten zu bestätigen. Einem Umfeld also, in dem Filme nicht selten funktionalisiert, für eine bestimmte Sache gedacht oder anderweitig kunstunfreundlich angelegt sind. Man ist geneigt daraus den Rückschluss zu ziehen,
"Winter's Bone" gleiche sich den Gesetzen jenes Pseudo-Indie-Kinos an, wie es die großen Hollywoodstudios mit ihren Sub-Labels seit Jahren bedienen. Er mag nicht als solches konzipiert sein, aber er scheint dennoch die richtigen Knöpfe zu drücken, wenn ihm medienwirksame Unterstützung von Kathryn Bigelow erlaubt ist, er einen Preis nach dem anderen absahnt und natürlich auch ein 4-Sterne-Review von Roger Ebert erhält.

Natürlich muss der Film deshalb keine Geistesverwandtschaft mit den radikal berechneten Mainstream-Arthaus-Produkten der Filmbosse pflegen. Und natürlich kann es einem "kleinen" künstlerischen Film gelingen, dass seine Darsteller in schicken Abendkleidern über die Red Carpets Hollywoods marschieren, obwohl er sich so sehr unterscheidet von allem, was sonst den Markt bestimmt. Aber leider ist "Winter's Bone" eben doch ein Film der Mechanismen, ein sozialgewichtiger, trister und bitterer Film, der unterm Strich alles richtig machen und es gut meinen möchte. Egal wie schlimm die Geschichte eines 17jährigen Mädchens, das im amerikanischen Hinterland allein für seine zwei kleinen Geschwister aufkommen muss, auch sein mag: Aus dem Kino geht man irgendwie mit einem guten Gefühl. Die Schrecken der weißen Unterschicht werden wohl dosiert, mit Klischees verformt und durch Empathie goutierbar gemacht.

Nur so vielleicht kann ein solcher Film funktionieren – bei den Oscars ebenso wie bei Mutti, die mit ihrer besten Freundin einen Kinoabend mit Anspruch eingeplant hat. White Trash, aber bitt
e nur mit Happy End. Die bedenkliche Proportionalisierung bzw. Verfemdung, mit der dieser und vergleichbare Filme ihre Sujets bearbeiten, ist so wenig neu wie nun sonderlich aufregend. "Slumdog Millionaire" wurde zum Hit, weil selbst in Scheiße badende Kinder noch den in schmuckvolle Bilder gehüllten Spaß ihres Lebens hatten. Christian Bale gewann für "The Fighter" einen Oscar, weil er sich erst energisch herunterspielt zum drogenabhängigen Unterschichtenboxer, um dann nach erfolgreichem Entzug wieder ein emotionales Gleichgewicht herstellen und normative Erwartungen erfüllen zu können. Jede Geschichte muss ihre Erfolge sicherstellen, ihr Mindestmaß an Entgegenkommen.

"Winter's Bone" ist nicht gänzlich misslungen, aber er betreibt mit vielen seiner Bilder die gleiche Ausstellung von Armut wie andere wohlfeine Sozialdramen. Er bedient einige schlimme Klischees, wenn Kinder in Hungernot Eichhörnchen häuten und verspeisen müssen, oder wenn die Protagonistin in die Fänge inzestuöser Hinterwäldler gerät. Das ist alles mehr als dick aufgetragen, auch wenn sich Regisseurin Debra Granik um leise Töne bemüht und auf allzu ausgespielte Sentimentalitäten verzichtet. Indem sie den Film nahe am Western mit einigen Thriller-Konventionen aufzieht (das 17jährige Mädchen sucht ihren verschwundenen kriminellen Vater, um Haus und Hof nicht zu verlieren), drängt sie die soziale Relevanz der Geschichte allerdings ebenso in die Beiläufigkeit wie die nach Authentizität buhlende Darstellung der weißen Unterschicht in Missouri. "Never ask for what ought to be offered", heißt es zu Beginn – solche gemütlichen Weisheiten können sich nur Drehbücher erlauben.


40%
- erschienen bei: Reihe Sieben

Mai 13, 2009

Kino: THE LAST HOUSE ON THE LEFT

Einmal mehr wird ein einstiger Undergroundstoff seinem zeitlichen und räumlichen Kontext entrissen und für die immer noch fraglich hochkonjunkturelle Unkultur zeitgemäßer, auf ein klar abgestecktes Teenager-Publikum hinproduzierter Horror- Remakes, die in ihrer deutlichen formalen Abgrenzung der Vorbilder nach allen Regeln der Kunst die Gesetze des Mainstream-Kinos wahren, umgemodelt und vermeintlich aufgefrischt. Interessanterweise versuchte sich bereits der originale "Last House on the Left" an einer Interpretation seines Referenzvorbildes, der "Jungfrauenquelle" Ingmar Bergmans, dessen religiöses Meditieren über Verlust und den Willen Gottes er gegen eine kühne, rücksichtlose und von studentischem Übereifer gekennzeichnete Gewaltballade eintauschte.

Verhielt sich Wes Cravens frühe Regiearbeit zu ihrem Bezugsobjekt noch wie die naiv-intellektuelle, zumindest aber überaus geistreiche und im Anliegen deutlich gesellschafts- politische Umkehrung des Bergman-Films, also einer Low-Budget-Neubearbeitung mit freimütigen Akzent- verschiebungen, so begnügt sich Dennis Iliadis’ in der 2009er-Version des Materials größtenteils auf das brave Nachstellen jener einst verstörend bösen Bilder Cravens, die in ihrer jetzigen aalglatten Berechenbarkeit bestenfalls ein wenig Popcornrascheln beim pubertierenden Publikum garantieren.

Die Rape-and-Revenge-Geschichte ist demnach die gleiche: Zwei unschuldige Bikini-Miezen vom Land geraten in die Fänge einer wüsten Großstadtbande, werden erst vergewaltigt und gefoltert, um anschließend einen qualvollen Tod sterben zu müssen. Unglücklicherweise sucht die mörderische Gang daraufhin nächtlichen Unterschlupf im Waldhäuschen jener Eltern, deren Töchterchen sie soeben Fluss abwärts elendig verenden haben lassen. Diese entpuppen sich dann, ganz so wie 1972 bei Wes Craven, hinter bürgerlicher Glitzerfassade als eigentliche Barbaren und führen gegen die Peiniger ihres Kindes einen genüsslichen Rachefeldzug – mit allem, was der eheliche Werkzeugschuppen so herzugeben hat.

Iliadis hat es, bei allem, was diese Neuverfilmung entschärfend an Änderungen vornimmt, immerhin verstanden, der zweiten Hälfte einen größeren Bedeutungs- und Spielraum zuzugestehen, um so zumindest die Essenz des Originals – das hinter US-amerikanischer Vorgartenidylle erst das wahrhaft monströse Gewaltpotential der Gesellschaft ausmachen und sich im Kontext der Hippiebewegung somit wohl gar als ironisch verstanden wissen wollte – auf logistischer Ebene wiederherzustellen. Doch verliert die, augenscheinlich deutlich explizitere, Meucheljagd der Eltern in dieser Neuauflage alles von ihrer symbolischen Bedeutung: Vom aufgebrachten Geist Cravens ist freilich ohnehin nichts mehr zu spüren (und der Verlust des bissigen Kommentars allein durch die Nicht-Reproduzierbarkeit der tief in den 70ern verwurzelten Vorlage erklärt), doch tut sich das Remake mit seinem Handlungsausbau in der zweiten Hälfte keinen Gefallen.

Denn unter den vielen anbiedernden dramaturgischen Korrekturen weg vom unangepassten, vielleicht gar imper- tinenten Erzählstil des Craven-Films, hin zur klassischen Opfer-Täter-Verteilung, wie sie das Mainstream-Format auf ein erträgliches, will heißen: beschwingtes, Unterhaltungslevel einpendelt, wurde auch das Überleben der Tochter gesichert: Damit die Identifikationsfigur das Ende des Films miterleben und dafür verletzt aus dem Fluss schwimmen darf. Dass das grotesk-brutale Abrechnen mit den Kindstötern – bzw. Nichttötern – dadurch keiner wirklichen Logik mehr, geschweige denn Aussagekraft folgt, liegt auf der Hand. Nur, und das ist das eigentlich perfide dieses weiteren sinnlosen Remakes eines 70er-Jahre-Genreklassikers, wirkt all die ausgestellte Gewalt – so glatt gebügelt und wenig schockierend sie auch erscheinen mag – dadurch nur umso unnötiger: Was einst einen subversiven Geist versprühte und bedauerlicherweise noch immer die Zensuranstalten beschäftigt, wirkt heute nur noch sinnentstellt, dümmlich und reichlich menschenverachtend. Nicht zuletzt der haltlose Epilog dieses neuerlichen "Last House on the Left" erweist sich dabei als ebenso einfältig wie verräterisch.


30% - erschienen bei den: FÜNF FILMFREUNDEN