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Januar 20, 2011

Kino: THE NEXT THREE DAYS

Paul Haggis ist so etwas wie eine sichere Hollywoodbank, ein vertrauenswürdiger Routinier, der die an ihn gestellten Anforderungen erfüllt. Er hat sich als Regisseur und Autor den Respekt der Traumfabrik erspielt, weil er mit "L.A. Crash" gleich zwei unerwartete Oscars gewann. Seine Drehbücher sind gefragt, weil er ein Gespür dafür hat, was das Publikum sehen möchte ("Million Dollar Baby"), oder weil er ihnen wahlweise auch den letzten Schliff verpassen kann ("Casino Royale"). Und durch seinen öffentlichen Scientology-Ausstieg nach 35 Jahren Mitgliedschaft hat er sich auch ein persönliches Profil erarbeitet – Haggis, das findige Multitalent.

Der Preisregen über "L.A. Crash" sicherte dem Senkrecht- starter eine vorläufige Narrenfreiheit zu, nach der sich bereits seine zweite Regiearbeit, das rührige Kriegsdrama "Im Tal von Elah", als finanzieller Flop erweisen musste. Die neoliberale Konsenshaltung beider Filme zwischen politischem Stammtisch und verwässerndem Sentiment scheint jedoch erst einmal vom Tisch: Mit "72 Stunden – The Next Three Days" versucht sich Haggis im klassischen Genrekino, aber in den USA hat von dem Film wieder kein Mensch Notiz genommen. Dabei ist das Remakes des französischen Thrillers "Ohne Schuld" ("Pour Elle") bisher die solideste Arbeit des Regisseurs.

Alles beginnt ganz friedlich. John (Russell Crowe) und Lara (Elizabeth Banks) führen eine Ehe wie aus dem Bilderbuch. Sie haben einen Sohn, ein schönes Haus und begehrte Jobs. Sie gehen abends mit Freunden gut essen, haben anschließend leidenschaftlichen Sex und versichern sich ihre gegenseitige Liebe wie am ersten Tag. Diese Idylle jedoch endet auf einen Schlag: Kurz nachdem Lara eines Morgens einen seltsamen Blutfleck auf ihrem Mantel entdeckt, stürmt die Polizei das Haus und verhaftet die Ehefrau und Mutter wegen des Mordes an ihrer Chefin. Obwohl sie ihre Unschuld beteuert, wird Lara unter der erdrückenden Beweislast gegen sie angeklagt und schließlich verurteilt.

Um den schief hängenden Familiensegen wieder gerade zu rücken, sieht der Universitätslehrer John keine andere Möglichkeit, als seine Frau auf eigene Faust aus dem Gefängnis zu holen. Er trifft einen Ex-Knacki (Hollywoods derzeitige Allzweckwaffe Liam Neeson), der mehrere Ausbrüche hinter sich brachte und ihm einige wohlwollende Tipps auf den Weg gibt, beschafft sich auf fragwürdigem Weg Geld für seine rechtswidrige Rettungsaktion und ist bereit, alles aufzugeben, um Lara aus der Gefangenschaft zu befreien. Doch die Polizei droht hinter Johns Plan zu kommen, ehe er ihn überhaupt in die Tat umsetzen kann.

In seiner amerikanisierten Neuauflage des Stoffes setzt Haggis andere Akzente als Fred Cavayé in der Vorlage mit Diane Krüger, die hierzulande letztes Jahr lediglich auf DVD erschienen ist. Die verzweifelten Versuche des Ehemannes, einen Weg für die Freiheit seiner Frau zu finden, wurden in "Ohne Schuld" teils zu lustlosen Montagen verkürzt, während Haggis sie deutlicher ausspielt, den Fokus auf Suspense legt und nach klassischen Genreformeln arbeitet. "The Next Three Days" ist reißerischer als das eher schwerfällige Original, in vielerlei Hinsicht aber auch eine Korrektur des dramaturgisch eher ungeschickten französischen Thrillers.

Es erweist sich als raffinierter Schachzug, die Klärung der Schuldfrage ans Ende des Films zu verlegen. Dadurch generiert Haggis im Gegensatz zur Vorlage eine fiebrige Atmosphäre, die das Potenzial der Geschichte deutlicher ausschöpft und Russell Crowes verzweifelten Alleingang um einiges mitreißender gestaltet. Tatsächlich ist "The Next Three Days" ein ungemein spannender Film, ein Crowdpleaser gewiss, aber gut konstruiert und effektiv in Szene gesetzt. Bemerkenswert ist auch, dass er den Kampf des Antihelden um die Freiheit seiner Frau nicht gegen das vermeintliche Versagen von Polizei und Justiz ausspielt, sondern das Selbstjustizthema eher beiläufig verhandelt. An der Amoralität der Geschichte hegt Haggis ohnehin keinen Zweifel.

Sonst klebt das Remake trotz seiner Ausbesserungen jedoch sklavisch an der Geschichte und adaptiert sogar ganze Einstellungen des Originals. Komponist Danny Elfman übernimmt die treibenden elektronischen Beats der Vorlage, seine Musik aber ist wenig originell, unscheinbar und leider auch etwas dröge. Das größte Problem des Films ist sicherlich die mangelnde Glaubwürdigkeit des Drehbuchs im Umgang mit seinem zentralen Protagonisten, den Crowe zwar souverän und konzentriert spielt, der sich im Laufe der Handlung allerdings auf kaum nachvollziehbare Art vom tollpatschigen Lehrer zum Mastermind mausert.

Diese charakterliche Indifferenz mündet in einem auch formal entsprechend unausgegorenen Finale, das zwar vom französischen Original erheblich abweicht, allerdings vehement zu keinem Ende finden möchte. Da stehen dann melodramatische Momente neben komplett fehl platzierten Actionszenen, die das zuvor sorgfältig errichtete dramaturgische Gerüst fast zum einstürzen bringen. Haggis reiht potenziellen Schluss an potenziellen Schluss und meint es zuletzt dann doch ein wenig zu gut mit seiner Vorstellung von einer auserzählten Geschichte – auf den letzten Metern verliert sich "The Next Three Days" in platter Rührseligkeit und einer lapidar ans Publikum gerichteten Aufklärerhaltung, die für seinen Regisseur nur leider allzu typisch ist.


50% - erschienen bei: gamona

Dezember 19, 2006

Retro: FRANKENWEENIE (1984)

Tim Burtons zweite Kurzfilmarbeit (seine anderen Short Films und der fürs Fernsehen inszenierte "Hansel and Gretel" sind bislang nicht veröffentlicht und bleiben hier daher unberücksichtigt), die er 1984 während seiner Anstellung bei Disney produzieren konnte, heißt "Frankenweenie", ein 30minütiger Realfilm über einen kleinen Jungen namens Viktor, einem selfmade director, der im Garten lieber Super-8- Monsterfilme inszeniert, statt im sonnigen Suburbia auf Baumhäusern Baseball-Karten mit anderen Kindern zu tauschen. Als Viktors Hund Sparky bei einem Autounfall ums Leben kommt, reanimiert er den toten Tierkörper kurzerhand in einem waghalsigen Experiment - und muss den zusammengenähten Hund fortan mit einem hysterischen Umfeld neugieriger Vorortnachbarn und Spießbürger verein- baren. Wie bereits in "Vincent", in dem das Motiv des Zombiehundes schon verankert ist, sind die autobio- graphischen Elemente der Geschichte nicht zu übersehen, ordnen sich allerdings einer munteren Eskapade klassischer Horrorfilmklischees unter, die der Regisseur für seine Beschwörung des Universal-Klassikers "Frankenstein" und mehr noch "The Bride of Frankenstein" genussvoll zelebriert. Burtons friedhofshumoriger Realfilm-Exkurs war seiner Außenseiterstellung bei Disney mehr als zuträglich: Statt der erwarteten Freigabe für das Zielpublikum erhielt "Frankenweenie" ein PG-Rating und sollte trotz seines relativ hohen Budgets von ca. 1 Mio. US-Dollar erst einmal für viele Jahre unaufgeführt im Giftschrank (neben "Vincent") landen, ehe Burtons Popularität Disney Anfang der 90er zu einer Veröffentlichung des Films auf Video bewog.

Es überrascht natürlich wenig, dass Burtons düstere, verschrobene, schwarzhumorige Kindervariation des Mary Shelley-Stoffes bei seinem Arbeitgeber keinen Anklang fand, obwohl der Spaß verhältnismäßig harmlos, eher noch liebenswürdig-schräg, erscheint. "Frankenweenie" jedoch muss als wertvolle Erfahrung für Burton gewertet werden. Zum einen bedeutete er sicherlich eine bittere Enttäuschung, gleichzeitig jedoch auch einen wichtigen Erkenntnisgewinn darüber, welche kunstfremden Mechanismen ein großes Studiotriebwerk letztlich antreiben und am Laufen halten. Als Fingerübung im Umgang mit einigen Stil-Elementen und festen Zeichen, die auch seine fortlaufenden Filme aufweisen sollten, seien es visuelle Referenzen, ironisch verkehrte Horror- versatzstücke oder die überspitzte Darstellung Suburbias als einen Hort gräulicher Uniformität und Ablehnung alles Fremden, hat "Frankenweenie", vielleicht sogar auch als ein heimlicher Bewerbungsfilm für künftige Regiearbeiten, Burton zweifellos weiter gebracht auf seinem Weg, den Hollywood- Mainstream letztlich von innen heraus aufzubrechen.


65% - erschienen bei: WICKED-VISION