April 29, 2010

Kino: I LOVE YOU PHILLIP MORRIS

Eine wahre Geschichte, zumindest so weit es das Kino zulässt: Steven Russell (Jim Carrey) ist der All-American-Dad, er hat einen guten Job, eine Frau, ein Kind und auch ein schönes Haus. Das alles hakt dieser Film jedoch schon mit der Titelsequenz ab, um dem sorgenfreien Leben des Steven Russell zügig ein Ende zu bereiten. Mit einem Autounfall – man denke an John Waters’ "A Dirty Shame" – kommt dem Lebemann eine einschneidende Erkenntnis: Er ist schwul. Und damit nicht gemacht für sonntägliche Kirchengänge und kuscheligen Ehe-Sex. Jetzt sehen wir Steven ganz schnell ganz anders: In neuesten Designer-Klamotten und mit markigen Kerlen an seiner Seite. Das ist der Moment, an dem viele Besucher die Sneak Previews hierzulande auch angesichts durchaus etwas expliziterer Szenen schlagartig verließen. So kann man es zumindest immer wieder vernehmen.

Weil der Lebenswandel jedoch seine kostspieligen Schattenseiten hat, entschließt sich Steven zu eher unkonventionellen Methoden der Geldbeschaffung. Um sich und seinem neuen Freund finanziellen Wohlstand zu garantieren, betrügt er Versicherungen – und landet damit zügig im Gefängnis. Dort lernt er Phillip Morris (Ewan McGregor) kennen und lieben, und dort beginnt der Film seine eigentliche (Liebes)Geschichte zu erzählen. Was Steven hingegen an Lügen, Diebstählen und Trickbetrügereien auffährt, um diese Liebe halten und in die Freiheit verlagern zu können, das sprengt jeglichen Rahmen.

"I Love You Phillip Morris", der trotz seines irreführenden Titels nichts mit dem gleichnamigen Zigarettenhersteller gemein hat, ist eine klassische Betrügerkomödie. Nicht so raffiniert und stilsicher wie Steven Spielbergs sehr ähnlicher "Catch Me If You Can", aber gewiss doppelbödiger. Denn die beiden Regisseure Glenn Ficarra und John Requa erzählen keineswegs eine gewöhnliche Gaunergeschichte, die lediglich die Konvention des klassischen Liebespaares gegen eine schwule Beziehung eintauschen würde. Sondern der, wenn man ihn so nennen will, Geschlechterbruch ist hier als gezielte Provokation zu verstehen und damit ursächlich für die mutigste und cleverste Hollywoodkomödie seit Jahren.

Denn der Film greift nicht das langbärtige Komödienklischee auf, das für gewöhnlich allen queeren Mainstream-Comedys in irgendeiner Variation zur Massentauglichkeit verhilft. Nämlich das der Versicherung, alles von normativen Gesellschafts- bildern abweichende sei letztlich nur Mittel zum Zweck oder schlichte Behauptung – und damit ungefährlich. So schlüpfte Robin Williams einst als "Mrs. Doubtfire" in Fummel, um wieder seinen Kindern nahe sein zu können. Transsexualität genügte hier als Joke, so lange sich dahinter kein Ernst zu verbergen drohte und die einzige wirklich schwule Figur als tuntiger Visagist auftrat. In "I Now Pronounce You Chuck & Larry" wiederum spielten Adam Sandler und Kevin James ein schwules Pärchen wider Willen, das nur wegen Pensionsvorteilen eine Lebensgemeinschaft bildete. Am Ende führen sie den CSD in New York an (es bedarf schließlich heterosexueller Initiative, um homosexuelle Rechte einzuklagen) und der Film meint ein Plädoyer für Schwule einzustimmen – doch küssen wollen sich die Männer hier trotzdem auf keinen Fall.

Das alles sind Komödien, die in ihrem Humorverständnis von Gleichberechtigung träumen, aber Homophobie nur nähren. Ihr Erfolg war einer rein heterosexuellen Perspektive und damit komfortabler Publikumssicherheit geschuldet. "I Love You Phillip Morris" nun spinnt eine wirkliche und umweglose Liebesgeschichte zwischen Männern. Hier spielen zwei heterosexuelle Hollywoodstars zwei homosexuelle Typen, die nur ihrer Liebe wegen ein Paar sind. Schwulsein ist hier gar so selbstverständlich, dass sich der Film nicht nur den Verzicht auf böswillige Klischees leisten, sondern auch ganz einfach hauptsächliche eine tradierte Gaunergeschichte erzählen kann. In deren Mittelpunkt eben nicht Frau und Mann, sondern Mann und Mann stehen. So einfach ist das, und leider doch so bemerkenswert. Deshalb kann man Ficarras und Requas Film als einfachen Betrügerspaß abwatschen, in dem die Protagonisten eben lediglich schwul seien. Oder als gewagten und überaus geglückten Versuch, aus Hollywoods üblichen Genreannäherungen an queere Comedy-Stoffe auszubrechen.


75% - erschienen bei den: 5 FILMFREUNDEN