Andreas Dresens Film ist versucht, ein stummes Tabu zu überwinden: Dass alte Menschen Sex haben, ja, dass ihnen vielleicht überhaupt eine Sexualität zugestanden wird, und dass sie ihren Lebensabend nicht mit monogamer Genüg- samkeit ausgestalten müssen. "Wolke 9" ist getreu Dresens Realismuskonzept ohne auffällige filmische Künstlichkeit in Szene gesetzt, mit natürlich wirkendem Licht und authen- tischen Schauplätzen. Der Film ist sehr stark darin, ein nostalgisches Gefühl für seine Figuren zu vermitteln: Die Wohnungen sind mit allen Details und Ausstattungsnoten einem gelebten Leben in der DDR nachempfunden, die Geschichte ließe sich problemlos (zum Beispiel) in einer typischen Pankower Siedlung verorten.
Universeller ist da schon die Fragestellung, ob eine 70jährige Frau noch ihren langjährigen Ehemann verlassen und mit einem anderen glücklich werden darf. Obwohl dies doch eigentlich die natürlichste Sache sein sollte, über die Dresen zu berichten weiß, nimmt der Film, tendenziell, schließlich eine moralische Haltung ein, die dem aufbrüchigen, ungeschönten, authentischen Charakter des Films Lügen zu strafen droht. Die Geschichte über die Kraft der Liebe ist vielleicht doch nur eine über das Dogma des Alters – was sich leise subversiv wähnt, endet laut konventionell. Oder, das ist die Frage, auch nur realistisch.