November 22, 2011

Kino: (GOD OF) CARNAGE

Ein Junge schlägt einem anderen Jungen zwei Zähne aus. Gutes Eingangsbild, so kann ein Film anständig beginnen. Unheilvolle Musik, ein eleganter Zoom, dicke Namen: Roman Polanski, Dean Tavoularis, Alexandre Desplat, das muss was werden. Dann: Koproduzent Oliver Berben, und die Musik ist nicht länger das einzig Unheilvolle im Raum. So filmisch wie in den ersten Minuten geht es im "Gott des Gemetzels" erst einmal knapp anderthalb Stunden lang nicht mehr zu. Schnitt zu Jodie Foster, die gerade ein Papier zum Vorfall aufsetzt. Ihr Kind sei "absichtlich entstellt" worden, sagt sie. "Unser Sohn ist eben verrückt.", entgegnet Christoph Waltz. Die Eltern des Täters zu Gast bei den Eltern des Opfers, ein Versöhnungsgespräch soll es werden. Und dann geht's auch schon los, das Theater im Kino.

Polanski inszeniert eines seiner Lieblingsmotive, die Klaustrophobie, als Beziehungsstück unter Bildungsbürgern in einem einzigen Wohnzimmer. So wurde der Gott des Gemetzels bereits auf der Bühne beschworen, im preisgekrönten Stück von Yasmina Reza. Die theatralische Vorlage ist wahrscheinlich sehr stark, aus ihr stammen die ulkigen Figurenkonstellationen, manch amüsanter Dialog und ein in diesem Kontext beispielloser Gross-Out-Moment. Sie ist sogar offenbar so stark, dass der Film die Bühne einfach ins Kino verlegt. Polanski filmt ein Theaterstück, mit Schnitten zwar und in vielen verschiedenen Einstellungen, aber erzählt in Echtzeit, auf einem Raum, mit Gesten, die bis zur letzten Reihe reichen.

Wie auf einer Bühne also bewegen und reden und gebärden sich die einzigen vier Schauspieler des Films. Paar 1 gegen Paar 2, Jodie Foster (Autorin, Weltverbesserin) und John C. Reilly (Eisenwarenverkäufer, Tierhasser) gegen Kate Winslet (Investmentbankerin, Sittenhüterin) und Christoph Waltz (Anwalt, Advokat, Arschloch). Sie diskutieren, streiten und giften sich an, und um die Sache ihrer Kinder geht es dabei natürlich längst nicht mehr. Der nachmittägliche Mittelschichts-Crash offenbart vielmehr die Zwänge der Heteronormativität, persönliches Unglück im Familienleben genauso wie im Streben nach sozialer Anerkennung. Polanski sieht darin scheinbar Potenzial für ein Kammerspiel, wie er es von "Ekel" bis hin zu "Der Tod und das Mädchen" immer wieder neu variierte.

Doch der Film ist überwiegend anstrengend und zu alledem noch erschreckend ergebnislos. Der spärliche Einsatz filmischer Mittel geht einher mit einem Verzicht auf Abstraktion, während die vier Hauptdarsteller im Mittelpunkt um die Wette künsteln. Schauspiel, das noch einstudierter, noch manierierter ist als hier findet man vielleicht allerhöchstens im, nun ja, Theater. Das eigentlich Schlimmste jedoch: Der Film spielt nicht mit seinen Paaren, er verändert lediglich partiell ihre Blickwinkel und stellt sie letztendlich sowieso gleich. Probleme gäbe es ja schließlich überall, bei schnöseligen Yuppies ebenso wie bei liberalen Gutmenschen. Das ist richtig, das ist banal, das ist langweilig. Der Einladung des Films zu kollektiver Gesinnungsschulterklopferei kommt man da wohl am Besten mit einem guten Wein nach, dann lässt es sich gleich noch mal beherzter kichern. Alles andere wäre ja auch viel zu mühevoll.


30% - erschienen bei: Das Manifest