März 18, 2009

Kino: SLUMDOG MILLIONAIRE

Die Pussycat Dolls und M.I.A. machen jetzt indische Musik. Gemeinsam mit A.R. Rahman, dem oscarprämierten Kompo- nisten von Danny Boyles Under-, nein, Slum-dog-Märchen, wollen sie jene R'n'B-Exotik in die Charts bringen, die schon auf der diesjährigen Verleihung der Academy Awards für schunkelnde Designerschühchen unter den hiesigen Hollywoodstars sorgte. Im Film selbst ertönt das rasante Gemisch aus Folklore, Elektroclash und Hip Hop zumeist, wenn kleine indische Jungs in dreckigen alten Lumpen über Dächer springen, sich durch schmuddelige Gassen schlängeln oder auch mal in Scheiße baden. Die besten Beats und Up-tempo-Nummern hebt sich "Slumdog Millionaire" allerdings zur Untermalung diverser Kinderfoltereinlagen auf. So viel Feelgood-Movie muss sein, was die wichtigsten Filmpreise des Jahres abräumt.

Der Film schildert in Rückblenden, wie der junge Jamal, der so genannte Slumdog also, im Laufe seines bewegten Lebens über illustre Zufälle zum Wissen gelang, das ihn bei der indischen Version von "Wer wird Millionär" nun Frage für Frage näher an den Sieg führt. Von der Polizei gefoltert und des Betrugs bezichtigt, blickt Jamal in einem klassischen Verhörrahmen auf seine Erfahrungen als Straßenkind zurück. Dem Jungen geht es jedoch nicht ums Geld, vielmehr möchte er eigentlich nur mit Latika glücklich werden, in die er seit seiner Kindheit verliebt ist. Wozu ein Leben in Armut, eine westliche Fernsehsendung und schließlich der Telefonjoker so gut sind, bebildert Boyle dann schnittig, schick und immer gemütlich ästhetisiert zu einem wohligen Gute-Laune-Film für die ganze Familie.

Dass die alles andere als unbeschwerten Ereignisse der Kids gleich zu Beginn wie irrwitzige Abenteuer anmuten, der Film das Wüten durch Abfall und Mist wie ein lustiges Kinderspiel in Szene setzt, stimmt befremdlich. Als exotische Variation des Oliver-Twist-Stoffes nimmt sich "Slumdog Millionaire" nie tatsächlich Zeit, die Umstände seiner Geschichte zu erfor- schen: Die schaulustige Schönästhetik jeder noch so erschreckenden Elendsabbildung scheint stets direkt den Wohlfühlsinn des Publikums ankitzeln zu wollen, nie aber begibt sich der Film auf Augenhöhe seiner jungen Helden. Der fast museale Blick auf die Geschichte und ihre Ereignisse wirkt, gemessen am Sujet, dagegen eher geschmacklos und erinnert in mehrfacher Hinsicht an den ebenso blödsinnigen, verharmlosenden und bis aufs Letzte dramaturgisch gebündelten "City of God" – der den Slum-Tourismus in Quasi-Musikclipform schon einmal ganz frei von Nebenwirkung in die westlichen Kinos und Herzen führte.

So versiert Boyle dabei mit Kamerageschick eine sich als fantasievolles Märchen ausstellende Gewinner-Geschichte nacherzählt und eindrucksvoll verschiedene zeitliche und räumliche Ereignisse montiert, es fühlt sich formal schlicht falsch an. Zu lieblich, unkritisch und wohlfein sein historisches Panorama Indiens, zu flach und einfach das Sinnieren über Geld, Kapitalismus und Machtstrukturen. Und letztlich ist der Film auch abseits seines problematischen visuellen Konzepts unglücklich in Szene gesetzt: Zu drehbuchlastig erzählt und – wenn auch bemerkenswert geschnitten – zu konstruiert in der Verbindung der Erzählebenen und Ereignisse, wartet "Slumdog Millionaire" letztlich mit abgestandenen Botschaften auf, die nur die ewige Mär von der Fatalität und Schicksalsbestimmung reproduzieren. Das ist dann doppelt geschmacklos: Nicht nur weil die illusorische Naivität des Films schamlos an den Realitäten vorbei zielt, sondern auch deshalb, weil all das an Originalschauplätzen und zum Teil mit Laiendarstellern zum Leben erweckt – und dann umso kräftiger verdreht wurde.


40% - erschienen bei den: FÜNF FILMFREUNDEN