Die Einflüsse von "Laura", der längst als eines der unbestrittenen Glanzlichter des Film Noir gilt, reichen über Antonioni und "L’Aventura" bis hin zu David Lynch und "Twin Peaks". Premingers unter erschwerten Produktionsbedingungen entstandenes Werk – der ursprüngliche Regisseur Rouben Mamoulian wurde gefeuert, ständiger Ärger mit Darryl F. Zanuck kam hinzu – gehört zu den komplexesten Thrillern der 40er-Jahre, erhebt den Noir mit unkonventioneller Photographie und surrealer Romantik fast zu einer stilistischen Spielart und bricht immer wieder mit den Erwartungen seines Publikums. "Laura" ist so etwas wie eine glückliche Fügung: Nicht all seine Elemente passen ganz selbstverständlich zueinander, vielmehr entwickeln sie sich im Laufe der Spielzeit und widersprechen sich so vehement, bis Premingers Film sie zu einem großen Mysterium vereint, das hinter seiner simplen Struktur eine enorme Vielschichtigkeit vermittelt und dabei auch vor Provokationen nicht zurückschreckt.
"I shall never forget the weekend Laura died.", lauten die berühmten ersten Worte des Films. Sie führen den Erzähler Lydecker ein, den trauernden Gatten der verstorbenen Titelfigur, und sind schon für sich genommen Teil des unverschämten Konzepts: Wir werden nun immer wieder an den Glanz jener Frau erinnert, um die herum sich die merkwürdige Personenkonstellation ergibt. Lydeckers schwärmerische Erzählungen verleihen Laura (Gene Tierney) schon nach wenigen Minuten die Präsenz einer Idealfrau, nicht nur ausnahmslos jeder Dialog kreist um sie, auch ein permanentes Gefühl ihrer unsichtbaren Anwesenheit wird durch die Rückblenden, in denen sie als genaue Verkörperung dieser Darstellungen erscheint, hervorgerufen. Laura erwacht zum Leben durch all die glanzvollen Erinnerungen an sie, während ihr rätselhafter Mord vom zynischen Detective McPherson aufgeklärt werden soll.
(Anmerkung: Die folgenden Absätze enthalten ausgiebige Spoiler.)
Unverschämt ist das deshalb, da dieser Erzähler bereits tot ist: Lydecker erweist sich im fulminanten Finale als Mörder seiner (fälschlicherweise verwechselten) Geliebten und wird schließlich erschossen, obwohl er dem Zuschauer in einem undurchsichtigen Handlungskomplex um Mordmotive und Alibifunktionen als scheinbar vertrauensselige Orientierungs- figur diente. Mit derlei unerwarteten, vor allem aber merkwürdigen Storytwists verleugnet der Film ganz klar seine für sich genommen einfache Whodunit-Oberfläche. Hier geht es nur sekundär um die realitätsgetreue Ermittlung eines Mörders: Welcher Polizist verwahrt die Tatwaffe als einziges Beweismittel genau dort auf, wo er sie gefunden hat. Und wo gilt es noch den Mord der Titelfigur aufzuklären, wenn das vermeintliche Opfer plötzlich quicklebendig zur Tür reinschneit (und sich in Lauras Schatten demnach niemand mehr dafür interessieren dürfte, wer das Hausmädchen versehentlich erschoss).
Nein, "Laura" ist zwar durchaus ein kriminalistisches Kabinettstückchen, ein an Agatha Christie-Geschichten erinnerndes Detektivspiel, aber seine formale Struktur und die außergewöhnliche Figurenzeichnung überschatten all das bei weitem. Indem der Film seinen Erzähler zunehmend in den Hintergrund verbannt, noch bevor er ihn als Mörder entlarvt, schwindet auch das vorher akribisch entworfene Bild der mysteriösen Laura. Nachdem der Zuschauer eine verklärte Ahnung von dieser Figur bekommen haben dürfte, taucht sie unvermittelt auf der Bildfläche auf – um dem Ideal aus Lydeckers romantischen Erinnerungen zu widersprechen. Laura ist reichlich mürrisch und weitaus weniger sophisticated als es ihr Gatte dem nüchternen McPherson weismachen wollte. Preminger erlaubt sich mit diesem Schritt jedoch, das Mysterium um die Figur noch weiter auszumalen: Laura taucht bezeichnenderweise geradewegs in dem Moment auf, als der Detective in ihrer Wohnung eingeschlafen war. Ob und inwiefern ihre Rückkehr also nur einem Wunschtraum entspricht, bleibt bis zuletzt unklar und würde einer objektiven Darstellung der Figur zusätzlich entgegenwirken.
Diese zweite Hälfte ähnelt der ersten insofern, als auch sie von einer Obsession für das Objekt der Begierde handelt. War es zuerst Lydecker, der Laura in Erzählungen idealisiert und ihr zuvor wie besessen hinterher spionierte, verfällt nun McPherson ihrer geheimnisvollen Aura. Er hält sich in ihrem Appartement auf, liest ihre Briefe und starrt immer wieder auf das große Porträtgemälde im Wohnzimmer – dieser Aspekt einer eigentlich nekrophilien Liebe wird in "Vertigo" später bewusst oder unbewusst erneut thematisiert. Die traumähnliche Atmosphäre gewinnt dabei zunehmend Oberhand, während sich objektive Ermittlungen und subjektive Abhängigkeiten mehr und mehr vermischen. Obwohl Kameramann Joseph LaShelle vielmals auf tiefe Schatten setzt, wirken die Kontraste in "Laura" weniger hart als in anderen Film Noirs. Die bemerkenswerte Eleganz wird nicht zuletzt durch die beinahe schwebenden Fahrten innerhalb der Räume und die Weichheit der Konturen evoziert, wodurch der Film beinahe unnahbar photographiert scheint. Ganz besonderen Anteil an der Illusion stiftenden Visualität hat die berühmte Musik von David Raksin, die innerhalb des filmischen Raums ein mysteriöses Eigenleben entwickelt und sich als die eigentliche unabhängige Stimme für die Handlung erweist.
Wenn man Preminger als Regisseur betrachtet, der sich mit seinen Filmen immer auch auf subversivem Terrain bewegte, Themen anschnitt, die für gewöhnlich nicht zuletzt des Hays Codes wegen scheinbar einfach nicht angeschnitten gehörten, und stets politisch und gesellschaftlich relevante Elemente mehr oder weniger offensichtlich in seine Arbeiten einbettete, dann kann "Laura" auch als Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen seiner Zeit verstanden werden. Nicht nur ist Laura die emanzipierte Schöne, die die Männer zu sprichwörtlichen Schosshündchen umkehren lässt und sich damit als eine weitere starke feminine Persönlichkeit im Kino der 40er-Jahre ausweist, das Figurenkabinett ist grundsätzlich von außerordentlichem Interesse: Da wäre erst einmal Dana Andrews als Detective, der seinem kernigen Charme zum Trotz bald von romantisch-morbider Liebe beflügelt scheint, weiterhin Vincent Price in einer frühen Rolle als Liebhaber, der selbst auffällig feminin zu Tage tritt und in einem seltsamen Verhältnis zur keuschen Judith Anderson steht, die ihrerseits eher den Eindruck einer frustrierten homosexuellen Mittvierzigerin macht.
Und zuletzt Clifton Webb als Lydecker – Erzähler, Ehemann und Mörder –, die vielleicht komischste Figur in "Laura". Schon sein erster Auftritt spricht Bände, als er nackt aus der Wanne steigt und dem emotionslosen Detective nur ein müdes Lächeln entlockt. Die nasale Intonation und der überbetonte Gang weisen Lydecker ganz zweifellos als jemanden aus, der einer Frau zwar Bewunderung, kaum aber auch Befriedigung entgegenbringen kann. Zwischen ihm und Laura könnte die Chemie gar nicht weniger stimmen – sie, die Inkarnation einer selbst bestimmten Frau, gehört ganz eindeutig zu dem bewusst männlich ausgezeichneten McPherson – und nicht zuletzt eine seinerzeit gekürzte Montage von Einkaufs- und Frisierszenen des Paares zeigt das lediglich auf äußerliche Divaqualitäten fixierte Interesse Lydeckers an der Titelfigur, ganz zu schweigen von den transidentischen Implikationen dieser Szenen. Es ist dies auch der nebenher bissigste Kommentar Premingers: Denn indem der wohlerzogene Mann die freche Femme Fatale zur Enthaltsamkeit erziehen und ihr Leben eher erzwungen denn bereitwillig dem sophisticated-Typus angleichen will, enttarnt er all die Eleganz dieser Gesellschaft als reine Konstruktion.
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