Eine Frau wird hinterrücks niedergetreten. Ihr Ehemann drückt ihr Gesicht in eine kalte Pizza, die er zuvor als Aschenbecher benutzte. Im Nachbarhaus sitzt zur gleichen Zeit ein alter Mann beim Essen, zitternd, unruhig. Er verschüttet die Spaghetti, lässt sie in seinen Schoß fallen. Sein Sohn verspottet ihn. Gegenüber, wo der russische Mann noch immer seine Frau quält, tritt ein kleiner Junge die Treppe hinunter: „John Wayne was a faggot!“. Daraufhin schießt er auf seinen Stiefvater. Die Welt ist böse. Der Mensch ist schlecht. Ein Überleben im Moloch aus Drogen, Bandenkriegen, schmierigen Cops und Kinderschändern ist nur unter Einsatz brachialer Gewalt möglich. Die Welt ist krank. Der Mensch ist gut? Der Prozess des Wertezerfalls muss nicht abgeschlossen sein, ihm ist mit abgehärteter Pose noch entgegenzuwirken. Die Welt ist einfach ein Loch. Und Regisseur Wayne Kramer („The Cooler“) fühlt sich mit „Running Scared“ dazu berufen, den Zuschauer tief hinein blicken zu lassen.
Es ist nicht nur eine unglaubwürdige Geschichte, deren Ereigniskette kaum schlechter hätte konstruiert werden können, es ist vor allem eine hochgradig alberne, eine mit lächerlichen Dialogen erzählte Gewaltodyssee, überdeutlich angelehnt an die aktuellen Genrevorbilder von Tony Scott („Domino“) bis – natürlich – Quentin Tarantino („Reservoir Dogs“). An der ästhetischen Oberfläche mag „Running Scared“ in dieser Richtung als einer der zahlreichen Epigonen durchaus funktionieren, leider kann er entgegen genannten Vorbildern mit keiner darüber hinaus gehenden Substanz aufwarten. Wo Scott zumindest den Versuch unternimmt, Schnitt und Kamera zu eigenen Erzählinstanzen mutieren zu lassen, steckt hinter dem spielerischen, hektischen Firlefanz dieser Photographie keine erkennbare Bedeutung, weil sie zwischen den vorgegebenen Schablonen nicht separiert, keine Differenzen schafft, sondern lediglich in Bewegung ist, trotz einiger ungewöhnlicher Einstellungen. Vielmehr erweisen sich Schnitt- und Kameraarbeit als bedeutungslose Darsteller, die Kramer ähnlich selbst verliebt zum Einsatz bringt, wie er den Film auch erzählt, nämlich spürbar zwanghaft auf „cool“ getrimmt, aber seelenlos.
Dabei verrät „Running Scared“ sein in Ansätzen ernstzunehmendes Potential an eine in jeder Hinsicht fragwürdige Inszenierung. Anstatt seine zentralen Figuren zu entschlüsseln, ihnen wirkliches Gewicht zu verleihen, zelebriert Kramer eine regelrechte Ode an die Gewalt, die ihr Publikum insgeheim eher begeistern, denn verschrecken soll, wird die ästhetisierte Darstellung jener doch konsequent als Lösung etabliert. Damit verspielt der Film seine Glaubwürdigkeit und die Chance, ein tiefgründiges Gesellschaftsbild im Stile eines „Taxi Driver“ zu zeichnen, gibt er seinen Figuren nicht einmal im Ansatz die Möglichkeit der Selbstreflexion – hier wird nicht hinterfragt, hier wird draufgehalten. Kramers Schicksale sind fadenscheinig verpackte, Testosteron gesteuerte Primaten. Die Message ist ja ohnehin deutlich: Schlecht ist unsere Welt.
„Running Scared“ ist somit ein Schritt zurück. Er dekonstruiert keinen Typus wie in Filmen von Martin Scorsese oder Michael Mann, er wiederholt ihn, determiniert Gegengewalt und Selbstjustiz als Prinzip. - Wie kann ein Leben in dieser Welt friedlich gelebt werden? Das Ende bleibt uns darauf keine Antwort schuldig. Es ist sogar ganz einfach: Töte alles und jeden, der dir mehr oder weniger im Weg steht. Dann, aber auch nur dann beginnt erst die Geburtsstunde der amerikanischen Familie. Viel Blut musste dafür fließen. Wie bei John Wayne eben.
Wertung: 2/10