Dezember 31, 2011

Zuletzt gesehen: I SAW THE DEVIL [aka. AKMAREUL BOATDA aka. HASCH MICH, ICH BIN DER OLDBOY]

Sagenhafter Quatsch zum Quadrat, der sich in einer selbstherrlichen Mischung aus Gorebauer-Pleaser mit Torture-Porn-Zielsetzung und scheinorigineller Drehbuchhyper- konstruktion als kunstvolle Variante des ja besonders im südkoreanischen Kino offenbar nimmer abgenudelten Rachethrillers vorkommt, sich aber samt jeder einzelnen seiner aufgeblasenen 140 Minuten in komplettem Schwachsinn besäuft. Von zwei, drei guten Einfällen abgesehen, inszeniert Kim Jee-woon mit schier unglaublicher Beharrlichkeit eine Blödsinnsidee nach der anderen in ständigen Nah- und Halbnahaufnahmen (grandios-doofer Höhepunkt: das formal von Emmanuel Lubezkis Kamerachoreographie geräuberte und innerhalb der Handlung vollkommen irrelevante Blutgesuppe im fahrenden Auto), während sich Choi Min-sik flagrant an einer Parodie seiner "Kultrolle" vom Hammer schwingenden "Oldboy" abarbeitet (mit Erfolg). Ein Film, der offenbar im kompletten Vollrausch entstanden ist und dank seiner hanebüchenen "Wendungen" auf Backebackekuchenniveau sowie der herrlich doofen Anbiederungsstrategie, dumpfesten Splatter mit Schau-mal-einer-da-Logik zu veredeln, gebührend vertrasht werden muss. Zumindest, so lange man sich an der Kunstfeindlichkeit dieser Mumpitzapotheose nicht die Zähne ausschlägt – was keinem zu verübeln wäre. (Extrapunkte für die super tighten Klamotten des Hauptdarstellers!)


30%

Dezember 27, 2011

Zuletzt gesehen: AUSCHWITZ

Von der Konzeption ("zeigen, wie es wirklich war") bis zur Ausführung eine bodenlose Unverschämtheit, die ihre geradezu prätentiöse Schwachsinnigkeit auch noch erzieherisch verstanden wissen will. Ungeniert und gedankenlos gebärdet sich der Film zwischen allerschlimmster Exploitation – Kindererschießungen im Close-Up mit CGI-Blut, Selbstinszenierung Uwe Bolls als SS-Mann vor Gaskammer- türen, das alles bei gleichzeitiger "Akkuratesse" in der Darstellung des Alltags systematischer Tötung – und schamloser Pseudo-Dokumentation, bei der zum Thema befragte Schüler gnadenlos dem tendenziös-idiotischen Geplapper des Regisseurs ausgesetzt und damit aufs Schlimmste düpiert werden. Als Sättigung des schon barbarisch gehaltlosen Abfalls scheut Boll in einer wohl als Conclusio gedachten Geste totaler Geistesabwesenheit schlussendlich auch nicht davor zurück, den Holocaust als quasi "gängiges" Beispiel eines Massenmords in die Geschichte einzugliedern, so wie etwa der Genozid in Darfur oder die Unterjochung der Indianer durch die "Amerikaner" (sic), und diese "Erkenntnis" fortlaufend zu kolportieren ("also gab’s das schon öfter"). Solchem Irrsinn kann man nur noch ohnmächtig ein Zitat gegenüber stellen: "Viele Menschen sind gut erzogen, um nicht mit vollem Mund zu sprechen, aber sie haben keine Bedenken, es mit leerem Kopf zu tun." (Orson Welles). 


0%

Zuletzt gesehen: THE IDES OF MARCH

Ein das eigene Sujet trivialisierendes Drama vor behaupteter Politkulisse, mit dem sich Regisseur, Hauptdarsteller und Co-Autor George Clooney erneut als großer Denker unter Hollywoods Schauspielequipe in Szene setzt. Im Zusammen- hang mit dem historische Wendungen versprechenden US-Wahlkampf Obama/McCain im Jahre 2008 hätte "The Ides of March" möglicherweise noch so etwas wie einen tagesaktuellen Reiz versprüht, hier und jetzt hingegen hängt er nur wie das schwere Pappende eines klebrigen Fliegenfängers im luftleeren Raum. Dass sich der Film hinter vordergründiger Scheinkomplexität zudem als bloßes Lobbyprodukt von und für Demokraten erweist, geeignet fürs kollektive Abnicken unter Gesinnungsgenossen, macht ihn selbstverständlich auch nicht relevanter. Denn um Politik, also Entscheidungsprozesse und deren Inhalte, geht es in "The Ides of March" keine Minute, das Drehbuch kreist einzig um eine melodramatische Sexaffäre, die dem Präsident- schaftskandidaten zum Verhängnis werden könnte, sowie die hiermit verknüpfte Gewissensprobe eines Wahlkampfhelfers. Damit legt Clooney eben nicht, wie man ihm so bequem andichten könnte, den politischen Machtapparat als moralischen Zirkus frei, sondern bestätigt unter Zuhilfenahme von Seifenopernklischees bestenfalls dessen Fragilität – und wie sehr man doch nach den Regeln der Korruption spielen müsse, um die eigenen Ideen sicher ins Ziel bringen zu können. Was für eine tiefsinnige politische Erkenntnis. 


35%

Dezember 26, 2011

Kino: BLUTZBRÜDAZ

Irgendwann wollen sie alle mal Kino machen, die Popstars, auch wenn die Filmgeschichte mit ihren Konvertierungs- versuchen selten gnädig ist. Zu den wenigen Ausnahmen von der Regel zählte 2002 Eminems Sozialdrama "8 Mile", das nicht nur Hip-Hop im Musikfilm-Mainstream verankerte, sondern auch eine ganze Serie ähnlich ausgerichteter Filme nach sich zog. Mit etwas Verspätung erreicht der Trend jetzt allmählich auch die deutsche Kinoproduktion.

Den Anfang machte im letzten Jahr der hierzulande erfolgreichste und zwischenzeitlich gar mit dem Integrations-Bambi ausgezeichnete Rapper Bushido, der seine autobiographische Notdurft mithilfe von Bernd Eichinger verrichtete. Die Erkenntnis aus vermöbelten Frauen, bedingungsloser Mutterliebe und schließlich medienwirksamer Imagetüftelei lautete feingeistig "Zeiten ändern Dich" und legte die Messlatte für deutsche Hip-Hop-Spielfilme in beeindruckender Weise bei Null an.

Bushidos ehemaliger Label-Buddy, dann Erzfeind und jetzt wieder verbrüderter Duett-Digga Paul Würdig aka. Sido musste als zweiterfolgreichster Deutsch-Rapper bislang noch auf eine Filmhauptrolle warten. Unter der Regie von Özgür Yildirim ("Chiko") und mit Vorzeige-Produzenten-Credit im Rücken (Fatih Akin) darf nun auch Sido Kino machen. Trotz gleicher Produktionsgesellschaft (Constantin) könnte sich dessen erster Film von Bushidos hochnotpeinlicher Marketingchose kaum krasser unterscheiden.

"Blutzbrüdaz" ist keine Adaption, kein Biopic und kein Musikstarvehikel. Sido spielt nicht sich selbst und er muss auch nicht Eckpunkte seines Lebens oder seiner Karriere unbeholfen nachstellen. Er verkörpert eine Figur, genau wie seine langjährigen Weggefährten B-Tight oder Apla Gun, die in weiteren Hauptrollen zu sehen sind. Der Film erzählt eine frei entwickelte und recht konventionell strukturierte Geschichte über den steinigen Weg zum Erfolg im Berliner Rapmusikgeschäft. That’s it. Und glücklicherweise.

Denn das von Özgür Yildirim mit leichter Hand inszenierte Sido-Kinodebüt als ulkige Komödie aufzuziehen, ist wahrscheinlich die einzig logische Konsequenz, die man aus Fremdscham-Debakeln wie dem Bushido-Film oder ähnlich missglückten US-Pendants ("Get Rich or Die Tryin") ziehen konnte. Statt Imagepflege gibt’s Selbstironie, statt Pseudo-Gangster-Getue augenzwinkernden Humor mit großen Jungs. Und es geht auch nicht um die irrelevanten Tagebuchweisheiten eines Rappers, sondern tatsächlich um Musik und einen spezifischen Teil der Berliner Hip-Hop-Kultur.
Mit einer am Ende der 90er angesiedelten Geschichte um zwei Rapper, deren Freundschaft auf dem Weg zum kommerziellen Musikgeschäft durch Missgunst und unterschiedliche Haltungen zum Hip-Hop auf eine Bewährungsprobe gestellt wird (Beef), reflektiert "Blutzbrüdaz" die neueren Entwicklungen in der Szene (leichte Parallelen zu Aggro Berlin inbegriffen) mit erfrischendem Unernst, naivem Charme und geradezu niedlich-quirligen Figuren. Selbst die Klischees des Genres, den Chauvinismus etwa oder das unsägliche Mackergetue, bricht der Film auf erheiternde Art.

Damit ist "Blutzbrüdaz" ein wohltuender Gegenentwurf zur proletenhaften Attitüdenrevue von "Zeiten ändern Dich", der sich mit anbiedernden Korrekturen am Medienimage seines Hauptdarstellers auch noch selbst demontierte. Wie sehr sich die beiden Filme der aktuell erfolgreichsten deutschen Rapper unterscheiden, zeigen nicht zuletzt ihre jeweiligen Schlussszenen: Bushido trällerte sich mit Karel Gott und seiner Biene Maja zum unglaubwürdigen Saubermann-Jungchen, während Sido in "Endstation" den Persönlichkeits- verlust im kommerziellen Hip-Hop beklagt.


60% - erschienen bei: gamona

Dezember 20, 2011

Zuletzt gesehen: THE HELP

Nach allen Regeln der Kitschkunst gefertigtes Rührstück über schwarze Hausmädchen im Mississippi der 60er, die nicht mehr nur länger bei Wohnungsputz und Kindererziehung weißer Mittelstandsfamilien helfen, sondern auch eine junge angehende Journalistin zu einem Buch über ihren diskriminierenden Arbeitsalltag inspirieren. Mit einem üppigen Ensemble, das der sorgfältig aufgezogenen Süßlichkeit die volle Breitseite verleiht, und einer beispiellos schwarzweiß gedachten Konfliktdramaturgie erfüllt "The Help" nicht nur jegliche Oscarkriterien mit Auszeichnung, sondern setzt die Tradition eindimensional gestrickter Hollywoodfilme ähnlicher Ausrichtung gnadenlos fort. Schwarze versteht der Film unterm Strich als Menschen ohne Eigenschaften, die sich mit Opfergaben in die Selbstlosigkeit demütigen (lassen), wenn sie nicht gerade mit klischeehafter Güte und Weisheit stillschweigend die ganz große Wahrheit hinter allem erkennen – bis im Finale die Ansprachen fallen, was sonst. Dass "The Help" deren weiße Unterdrücker zu aufgetakelten, geradezu karikaturesken Antagonisten stilisiert, um aus rassistischer Aggression auch noch fiebrige Spannungsmomente zu kreieren, versichert ihn aber immerhin gegen jede Form von Ernsthaftigkeit. Eine doppelt und dreifach gezuckerte Schmalzstulle von einem Film, bei der man wohl selbst noch den Erstickungstod in Kauf nehmen muss, um wenigstens eine Träne der Rührung vergießen zu können. Help!


30% (siehe auch: "The Blind Side")

Dezember 19, 2011

Zuletzt gesehen: RABBIT HOLE

Fast schon penetrant gut gemeintes Familienmelodram, in dem ein Mittelklasseehepaar darum bemüht ist, den Tod seines vierjährigen Sohnes bewältigen und wieder auf die Alltagsbahnen des gewohnheitsmäßigen Suburbia-Lebens zusteuern zu können. Obwohl John Cameron Mitchells Inszenierung Subtilitäten mal wieder ganz hinten anstellt (vgl. auch "Shortbus") und das vom Autor der Theatervorlage, David Lindsay-Abaire, selbst adaptierte Drehbuch scheinbar keine konstruierte Offensichtlichkeit auslassen möchte, gelingen "Rabbit Hole" einige mehr als passable Momente, in denen der eindringliche Stoff konzentriert problematisiert wird. Dem Film hätte dabei weniger Üppigkeit in seinen evidenten Details gut getan, tieferes Kratzen am Oberflächenlack ebenso. Kidman und Eckhart spielen sich mit bemerkenswerter Zuversicht an allen Schwächen vorbei, wobei er noch viel besser ist als sie und trotzdem nicht für den Oscar nominiert wurde. In einer (nicht unfreiwillig komischen) Szene überraschte mich übrigens ein herzlicher Lachanfall, für den ich dem Film zusätzlich sehr dankbar bin.


50%

Dezember 18, 2011

Zuletzt gesehen: COPIE CONFORME [aka. CERTIFIED COPY aka. DIE LIEBESFÄLSCHER]

Intellektuelle Vergnügungssucht über einen englischen Buchautor und eine französische Kunsthändlerin, die in wohlgestalten Plansequenzen durch die Toskana flanieren, anregende Gespräche führen und schlechten Wein trinken. Ihr arbiträres Diskursgeschwafel über Kunst- und darüber abgeleitete Lebensfragen gerinnt bald zur trügerischen Demonstration von Schein und Sein, während sich im eitlen Vortragsgestus der beiden Protagonisten vor allem immer erst einmal dickwanstig aufgeplustert wird, um dann deklamatorisch auf den eigenen einfältigen Hirnsport zu verweisen. Irgendwann grinst die Binoche dann mal in die Kamera und winkt den Fetischisten der Vierten Wand zu, ob dass sich das Gedankengeflecht noch weiter verdichten mag. Was in diesem scheinbar kopfsportlich gedehnten Debattier- clubverhalten herumkommt, ist so geistreich wie der Burger mit Pommes und Cola, den Binoches Filmsohn zu Beginn bestellen lässt – eine Figur apropos, die den urgrundbanalen Sublimierungszirkus schon durchschaut, bevor er überhaupt begonnen hat. Nur mag das Regisseur Abbas Kiarostami leider trotzdem nicht davon abhalten, diesem noch den ganz langen roten Teppich auszurollen und seine beiden "Liebesfälscher" darauf schamlos um die Wette palavern zu lassen. "It's not very simple being simple", wie wahr, wie wahr.


20%

Zuletzt gesehen: ESSENTIAL KILLING

Solider Prätentionsmainstream von der Festivalstange, dem das betont Unkonkrete wohl mal wieder als Schutz- mechanismus vor Deutungshoheit und Positionierung dienlich sein soll. "Essential Killing", der zweite Film des polnischen Neue-Welle-Urgesteins Jerzy Skolimowski nach dessen fast jahrzehntelanger Regiepause, fährt einige besonders ulkige Momente auf, während sich Vincent Gallo als Taliban-Irgendwas auf seinem Surivialtrip respektabel abmüht. In der kitschigen Visualisierung von Rückblenden und Träumen und Wahnvorstellungen und Christentrash tendiert der Film aber ins Kopfschüttelige. Was das forcierte Einleben in eine solche Figur eigentlich soll, bleibt natürlich auch unbeantwortet. 


40%

Dezember 15, 2011

Kino: LET ME IN

Vor drei Jahren begeisterte das schwedische Horrordrama "Let the Right One in" hierzulande die Besucher des Fantasy Filmfests und kurz darauf auch ein vergleichsweise breites Kinopublikum. Besonders international erregte die Roman- verfilmung Aufmerksamkeit, ihr seither gefragter Regisseur Tomas Alfredson stellte mit dem umjubelten "Tinker, Tailor, Soldier, Spy" jüngst seinen ersten englischsprachigen Film in Venedig vor. Keine Frage also, dass das skandinavische Vampirmärchen vorher noch für untertitelfaule US-Zuschauer neu aufbereitet werden musste.

Die Geschichte blieb erhalten, ihr Kern nicht. Angesiedelt nun im New Mexico der Früh-80er (diesmal extra mit Zeiteinblendung), erzählt das Remake noch einmal von der Annäherung des schüchternen Jungen (Kodi Smit-McPhee) und dem ewig 12jährigen Mädchen (Chloë Grace Moretz aka. Hit-Girl). Zwischen Schulhänseleien und adoleszenten Gewaltfantasien, triebhaftem Blutdurst und stiller Sehnsucht nach Liebe entwickeln die ungleichen Kinder eine tiefe Beziehung zueinander. Und im Fernsehen läuft Ronald Reagan.

Glücklicherweise verschwendete Alfredson weder Zeit noch Talent, das Remake seines Erfolgsfilms selbst zu inszenieren. Mit ähnlichen Versuchen, ein Bein in die Hollywoodtür zu setzen, scheiterten schließlich kommerziell und künstlerisch zuvor schon nordeuropäische Kollegen wie Ole Bornedal ("Nightwatch"). Vielleicht wäre "Let Me In" ein interessanterer und sinnfälligerer Film, hätten tatsächlich Alfredson und sein Autor John Ajvide Lindqvist ihren Stoff spezifisch amerikanisch neu interpretiert, aber das muss Spekulation bleiben.

Natürlich darf erst einmal jeder Film noch mal gemacht werden, kann jede Geschichte wieder und wieder erzählt werden. Grundsätzlich spricht gewiss nichts dagegen, ein Meisterwerk wie "Let the Right One in" neu zu verfilmen. Selbst oder vielleicht gerade in den makellosesten Höhepunkten des Kinos verbergen sich immer noch neue Blickwinkel, durch die sie gesehen werden können, und im besten Falle ja eben auch eine Mehrdeutigkeit, die andere Perspektiven geradezu herausfordert.

Alfredsons erschütternd profunde Coming-of-Age-Horrorstudie hätte durch einen ergänzenden (kulturell anders verorteten) Ansatz theoretisch gar noch gewinnen können. Im Idealfall. Matt Reeves jedoch scheint vom Film so angetan gewesen zu sein, dass er ihn einfach noch mal selbst drehen wollte, die eigene Unzulänglichkeit mit fremdem Können gedeckelt. Sogar das könnte ja, in einem ideellen Sinne, noch von gewissem Reiz sein, als präzises Shot-by-Shot-Remake beispielsweise, um schlicht hervorzuheben, was besser eben nicht mehr möglich sei.

Dem Regisseur der ulkigen Wackelkamerainvasion "Cloverfield" aber will einfach nicht viel einfallen, von den beschriebenen Konzepten ist Reeves weit entfernt. Manches stellt er eins zu eins nach, anderes verschlimmbessert er, und die Wesentlichkeiten der Vorlage hat er sogar überhaupt nicht verstanden. Seine Adaption des Drehbuchs (nicht des Romans) tilgt fleißig die Subtilitäten der Vorlage und bügelt sie in einer Mischung aus Nachstellungsgestus und Weichspülung des Materials glatt und geschmeidig. Die sonderbare Abgründigkeit des Originals weicht den irritierenden Überbleibseln einer US-Konvertierung.

Fast alles an diesem Film ist unecht, die zurechtgestutzte Freundschaft der Kinder ebenso wie der Schnee, in dem sie spielen. Das Vampirmädchen hüpft nun wie eine Computerspielfigur über Bäume und Dächer, und die Geschlechterfrage spielt sowieso keine Rolle mehr – die Großaufnahme eines jugendlichen Schambereichs mag man prüden US-Zuschauern schon gar nicht zumuten. Zur Eindeutigkeit verdammt letztlich auch die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern: Des Mädchens greiser Freund ist eben ganz klar nur ein solcher, der Vater des Jungen wiederum spielt sogar fast gar keine Rolle.

Und weil die amerikanische Angleichung/-passung auch bildästhetisch "funktionieren" muss, wurde das kühle Blau des Originals durch ein saftiges Braun-Orange ersetzt, das die Geschichte mit vertrautem Colorgrading an den Rand der sehgewöhnlichen Banalität visualisiert. Klar auch, dass künstliche Linsenreflexionen da dann nicht fehlen dürfen, Reeves hat die J.J.-Abrams-Schule schließlich nicht grundlos als Jahrgangsbester absolviert. Dem offenbar einzig auf eine Konventionalisierung der Vorlage abzielenden Simplifizierungs- konzept des Films wird somit immerhin optisch entsprochen – auch (k)eine Leistung.


30% - erschienen bei: gamona

Dezember 13, 2011

Zuletzt gesehen: THE SKIN I LIVE IN [aka. LA PIEL QUE HABITO aka. DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE]

Wem die melodramatische Perversion eines "Talk to Her" (Hable con ella), in der sich ja nichts anderes als die Radikalität menschlicher Begierden spiegelte, noch nicht weit genug ging, darf sich von Pedro Almodóvars neuem Film in psychologische Abgründe entführen lassen, die sonst nur noch ein David Cronenberg zu ergründen wagt. Zwischen totaler Frauen- UND Männerverstehung*, Genreaneignung und maximal trügerischer Arthauskultiviertheit setzt "The Skin I Live In" von der ersten Minute an einen disparaten Gedankenstrom in Gang, der seine exploitativen Elemente allerhöchstens bildästhetisch verschleiert, inhaltlich jedoch genüsslich auskostet und bedachtvoll <-> eruptiv in extreme Fragestellungen überführt. Voller Schön- wie gleichermaßen Hässlichkeit und entscheidendem Blick fürs Bizarre, ein wunderbares Vergnügen. Mit solchen Filmen kommt wohl nur noch ein vermeintlicher Kunstgewerbler wie Almodóvar durch.


80%

Dezember 07, 2011

Kino: PERFECT SENSE

Nicht mehr hören, nicht mehr sprechen, nicht mehr sehen können. Nach und nach verlieren alle Menschen auf der Welt ihre Sinne, eine unerklärliche Epidemie stellt ihr Sein in Frage. Was bleibt dem Menschen, wenn seine visuellen und auditiven Fähigkeiten verschwinden. Wenn er sich nicht mehr mitteilen oder auf Mitteilungen reagieren, nicht mehr in Kontakt zu anderen stehen und seine Umwelt wahrnehmen kann. Dies meint David Mackenzies neuer Film sicher beantworten zu können: ein "Perfect Sense".

Der Apokalypse gehen, so gehört es sich in den Bedrohungs- szenarios des Science-Fiction-Kinos, deutliche Warnsignale voraus. Der kollektive Verlust von Sinneswahrnehmungen ist ein sukzessiver, seine Anzeichen rasch deutbar. Vom nicht mehr riechen können bis zur totalen Blindheit vergehen nur Monate, mit quälender Gewissheit steuert die Menschheit auf ihr Verderben zu. Am endzeitlichen Vorabend, inmitten von Fatalismus und letzten Hoffnungsschimmern, lernen sich Susan (Eva Green) und Michael (Ewan Mcgregor) kennen. Nicht vom Ende der Welt erzählt dieser Film, sondern vom Beginn einer Liebe.

In den Vorzeichen der anbahnenden Katastrophe ist die Annäherung der Forscherin und des Chefkochs schon am Anfang von besonderer Intimität und Leidenschaft geprägt. Nach jedem weiteren verschwundenen Sinn richten sie sich auf die jeweils neue Situation ein; bangend, lediglich von einem besiegbaren Virus befallen zu sein, ahnend, dass sie bald nichts mehr haben außer sich selbst. "Perfect Sense" ist nicht an den Konventionen des Weltuntergangsfilms interessiert, an Wissenschaftlern in Schutzanzügen ebenso wenig wie an der Darstellung von Panik oder Überlebenskämpfen.

Bis zuletzt bleibt der Film bei seinen Protagonisten, teilt ihren Blick und ihre Empfindungen. Jeder Verluststufe geht eine kurze Phase potenzierter Emotionen voraus, die Beziehung von Susan und Michael ist gekennzeichnet von Gefühlswallungen und Wutausbrüchen. Umso intensiver und einfühlsamer skizziert der Schotte Mackenzie zwischen- menschliche Extremsituationen. Was seinen Figuren schließlich bleibt, sind Nähe, Berührung und Sex, die Kommunikation des Körpers. Liebe erweist sich als stärkster aller Sinne: "Besides love, there is nothing.".

Die eigentlichen Spuren der Epidemie, wie gesagt, streift "Perfect Sense" nur am Rande. Interessant ist hingegen, wie er die Sinnesverluste seiner Figuren filmisch verarbeitet, um nicht die Perspektive wechseln und das nahende Unheil von ober- oder außerhalb inszenieren zu müssen. Da Film auf Bilder und Töne angewiesen ist, ergeben sich in der Vermittlung einige Probleme, die Mackenzie – leider – zugunsten des Kinokomforts löst. Nur vorübergehend verzichtet er auf Ton, nur kurz schwärzt er das Bild zum Ende hin. Beeindruckend zwar, nicht aber konsequent, radikal genug.

Würde der Film sein eindringliches Intimitätskonzept nicht außerdem mit einem befremdlichen Voice-over abschwächen, in dem Eva Green philosophische Plattitüden zu recht profan montierten Bildern der (Dritten) Welt predigt, hätte er sich als einer der interessantesten Science-Fiction-Beiträge der letzten Jahre mühelos gegen seine ideellen Quasi-Vorgänger "Children of Men" (2006) und "Blindness" (2008) behaupten können. Sehenswert ist "Perfect Sense" aber dennoch – wann inszeniert schon mal jemand das Ende der Menschheit als gedankenvolle Liebesgeschichte?


60% - erschienen bei: gamona

Dezember 04, 2011

Zuletzt gesehen: FILME IM NOVEMBER 2011


The Thing from Another World
(USA 1951, Christian Nyby, Howard Hawks) (4/10)

The Thing
(USA/CDN 2011, Matthijs van Heijningen Jr.) (3/10)

The Thing: The Terror Takes Shape
(USA 1998, Michael Matessino) (5/10)

Boy with Cat
(J 1966, Donald Richie) (7/10)

Five Filosophical Fables
(J 1970, Donald Richie) (8/10)

The Craft
(USA 1996, Andrew Fleming) (3/10)

Halloween II
(USA 2009, Rob Zombie) (8/10)

Elementarteilchen
(D 2006, Oskar Roehler) (1/10)

Death Proof
(USA 2007, Quentin Tarantino) (8/10)

Blutzbrüdaz
(D 2011, Özgür Yildirim) (6/10)

Drive
(USA 2011, Nicolas Winding Refn) (4/10)

Napola - Elite für den Führer
(D 2004, Dennis Gansel) (2/10)

The Twilight Saga: Breaking Dawn - Part 1
(USA 2011, Bill Condon) (7/10)

Anacondas: The Hunt for the Blood Orchid
(USA 2004, Dwight H. Little) (1/10)

Låt den rätte komma in [Let the Right One in]
(S 2008, Tomas Alfredson) (9/10)

Let Me In
(USA/GB 2010, Matt Reeves) (3/10)

Gremlins
(USA 1984, Joe Dante) (7/10)

Gremlins 2: The New Batch
(USA 1990, Joe Dante) (9/10)

Halloween
(USA 1978, John Carpenter) (8/10)

The Fog
(USA 1980, John Carpenter) (8/10)

Escape from New York
(USA/GB 1981, John Carpenter) (9/10)

The Thing
(USA 1982, John Carpenter) (8/10)

Christine
(USA 1983, John Carpenter) (5/10)

Starman
(USA 1984, John Carpenter) (6/10)

Big Trouble in Little China
(USA 1986, John Carpenter) (5/10)

Prince of Darkness
(USA 1987, John Carpenter) (3/10)

Memoirs of an Invisible Man
(USA 1992, John Carpenter) (4/10)

In the Mouth of Madness
(USA 1994, John Carpenter) (4/10)

Escape from L.A.
(USA 1996, John Carpenter) (3/10)