April 28, 2011

Kino: THOR

Stop! Hammertime! Nach "The Incredible Hulk" und "Iron Man" nehmen die Marvel Studios das nächste Gründungsmitglied ihrer "Avengers" unter die eigenen Produktionsfittiche und bringen die Abenteuer des Donnergottes Thor als 150 Millionen Dollar teures 3D-Spektakel in die Kinos. Mit der Verpflichtung des britischen "Hamlet"-Regisseurs Kenneth Branagh traf der Konzern eine unkonventionelle Wahl für die Leinwandadaption seines Comicsuperhelden. Entgegen berechtigten Vorabzweifeln aber ist "Thor" eine vergnügliche und kunterbunte Melange aus Action, Romanze und Familientragödie zwischen Ernst und Unernst. Marvel meets Shakespeare

In Asgard ist die Hölle los. Das prunkvolle Reich der Götter leidet unter dem Übermut seines Königssohns Thor (voller Charisma: Chris Hemsworth), dessen Ehre und Tapferkeit ihn nicht davon abhält, längst befriedete Dispute im Universum der Götter neu zu entfachen. Nach einem unerlaubten Ausflug mit folgenschweren Konsequenzen verbannt Vater Odin (Anthony Hopkins) den Störenfried schließlich auf die Erde. Dort soll er unter Menschen lernen, seine Überheblichkeit zu zügeln und sich stattdessen ganz auf die edelmütigen Tugenden der Götter zu berufen, sehr zur Freude seines von Komplexen geplagten Bruders Loki (Tom Hiddleston).

Im irdischen Exil wider Willen stößt Thor bei seiner Ankunft auf die junge Wissenschaftlerin Jane Foster (Natalie Portman, die vor ihrem Schwangerschaftsurlaub noch schnell circa 500 Filme gedreht hat). Die keusche Forscherin ist schnell bereit, dem durchtrainierten Donnergott bei der Suche nach seinem Hammer behilflich zu sein, allerdings muss sie ihn gleichfalls vor dem neugierigen Militär schützen, das Thors Ankunft auf Erden ebenfalls zur Kenntnis genommen hat. Währenddessen spitzt sich der Konflikt im Göttereich weiter zu, als Loki die Krone des kranken Königs Odin an sich reißt.

Zu Beginn noch irritiert die "Thor"-Verfilmung mit ihrem allzu ausgespielten Pathos, wenn der Titelheld als Muster-Arier mit blonder Haarpracht und strahlend blauen Augen das große Heldenepos ausruft. Die aufmarschierenden Götter Asgards setzt Branagh in "Triumph des Willens"-Manier in Szene, was ein weiteres Mal erstaunen lässt, wie selbstverständlich sich virile Posen von majestätischen Herrschern im US-Blockbuster eingerichtet haben – von "Star Wars" über Zack Snyder bis hin zum knuddeligen Marvel-Eventfilm. Der Germanenkult der nordischen Sagenwelt scheint wohl einfach zu prädestiniert dafür, ihn ästhetisch ins entsprechende Licht zu rücken.

Dennoch macht "Thor" sehr schnell sehr viel Spaß, und es ist kein schuldiges Vergnügen. Wenn der törichte Held auf Mutter Erde aufschlägt, um von der liebreizenden Natalie Portman gezähmt zu werden, schwindet der anfänglich martialische Tonfall. Branaghs Gespür für Komik verleiht dem schwergewichtigen Göttergetöse eine ausreichende Prise Selbstironie, lässt "Thor" aber auch nicht zum einfachen Gaga-Spektakel verkommen. Der Film hält durchweg die Waage zwischen Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern, wodurch er sich einen gewissen Charme bewahrt und seine Geschichte weder allzu verbissen noch – anders als es die Trailer vermuten ließen – sonderlich trashig erzählt.

Überraschenderweise gelingt es Branagh, der Dank filmischer Katastrophen wie "Frankenstein" (1994) durchaus geeignet war, "Thor" als Camp-Burleske aufzuziehen, seiner quietsch- fidelen Kinoadaption des Donnergottes eine milde Tiefe zu verleihen. Im Comickontext wird die Vorliebe des Regisseurs für operettenhaften Trash auf eine seltsame Art kanalisiert: Die Shakespearesche Familiengeschichte um Habgier, Neid, Missgunst und Wahnsinn harmoniert bestens mit der halsbrecherischen Action und den fantasievollen CGI-Panoramen. "Thor" hat Herz und sogar ein wenig Verstand, und es ist endlich mal wieder ein US-Blockbuster, den man sich nicht erst schönsaufen muss.


60% - erschienen bei: gamona

April 27, 2011

Zuletzt gesehen: SHOCKER

In jeder Hinsicht durchgeknallte Horrorkomödie über einen transzendalen Serienkiller, der erst durch die Träume eines Teenagers geistert, dann verschiedene Körper unschuldiger Menschen durchläuft und sich abschließend als elektro- magnetische Kraft durch Fernsehkanäle manövriert. Von Kritik und Publikum wie üblich missverstanden, variiert Wes Craven seine bevorzugten Themen um vererbte Schuld, Eltern-Kind-Konflikte und unterschiedliche Realitätsebenen zu einer ebenso vergnüglichen wie vollkommen entrückten Comedy, die wie eine Fernbedienung mit Wackelkontakt munter zwischen Actionthriller, Fantasy-Horror und Mediensatire irisiert. Ähnlich seinem Traumdämon Freddy Krueger lässt Craven den übernatürlichen Mörder Horace Pinker in Bereichen jenseits des Bewusstseins Schrecken verbreiten, um eine folgen- schwere Verbindung zur Wirklichkeit herzustellen – zumindest einer filmischen Wirklichkeit, die später in "New Nightmare" und den "Scream"-Filmen schließlich auch sich selbst begegnen wird. Mehr Selbstparodie als Metafilm und mitunter sicher auch allzu albern, macht "Shocker" zumindest seiner interessanten Ansätze und zahlloser Gross-Out-Momente wegen einigermaßen Spaß. Wenn Horace Pinker Besitz von einem kleinen Mädchen ergreift, das wild fluchend mit einem Bagger durch den Park rast, offenbart sich zeitweise wieder einmal die Ultrakunst Wes Cravens.


60%

April 26, 2011

Zuletzt gesehen: THE ENTITY

Auf einem angeblich wahren Fall beruhender Esoterik-Geisterfilm über eine junge Mutter, die aus unerklärlichen Gründen fortlaufend von einer übernatürlichen Macht vergewaltigt wird. Zwischen Horrorthriller und Melodram inszeniert Sidney J. Furie "The Entity" (deutscher Untertitel: "Es gibt kein Entrinnen vor dem Unsichtbaren, das uns verfolgt" und wahlweise auch "Der Schänder aus dem Jenseits"…) an der Grenze zur Exploitation mit hervor- stechender Kameraarbeit und einem plump-effektiven Score. Bis zum inhaltlich enttäuschenden und zudem tricktechnisch verhunzten Schlussakt gelingt ihm dabei ein hervorragender Gruselfilm voller bedeutungsschwangerer Schauermomente. Interessant ist, besonders im Zusammenhang zum zeitnahen und vergleichbaren "Poltergeist", dass der Schrecken in "The Entity" noch nicht einmal kurzzeitig gebannt werden kann, sondern Barbara Hershey ihm ohne zeitliche oder räumliche Einschränkung dauerhaft ausgeliefert ist. Eine alptraumhafte Vorstellung, die der Film geschickt zu seinem Vorteil ausbaut, indem er die unheimlichen Ereignisse seiner Handlung weder zu erklären versucht, noch sie folglich unter Kontrolle bringen kann – und dem Zuschauer somit kathartische Effekte rigoros vorenthält.


70%

April 23, 2011

Zuletzt gesehen: PSYCHO II, III & IV

Psycho II (1983, Richard Franklin)

Wagemutige Fortsetzung des legendären Modernitäts- manifests von Alfred Hitchcock, die die Handlung 23 Jahre später munter weiterspinnt. Statt einer eigenständigen Exposition lässt der Film einfach noch einmal den Duschmord des Originals durchlaufen und wiegelt damit gleich jede Impertinenz ehrwürdig ab, indem er Komplexität gegen Genreelemente eintauscht. Die Geschichte von Richard Franklins Sequel konzentriert sich auf Norman Bates’ Rehabilitationsversuche nach jahrelanger psychiatrischer Behandlung, die jedoch von Störenfrieden aus der Vergangenheit mühevoll sabotiert werden. Da das Drehbuch offenbar zu viele dramatische Akzente setzt, wurden dem Film einige Horrorkonventionen beigemengt, weshalb sich
"Psycho II" neben seiner eigentlich zentralen Charakterstudie auch noch auf einen spannenden Whodunit-Plot konzentrieren muss. Die letztlich recht verschnörkelte Handlung gleicht einer unkontrollierten Geisterbahnfahrt, die sogar einmal in Richtung des zeitgenössischen Teenie-Slashers ausschert (was sich im nächsten Teil der Serie schließlich verselbständigen wird). Anthony Perkins hat folglich einiges zu tun und changiert kräftig zwischen Unschuldslamm und Psychopath, während sein Counterpart Meg Tilly hilflos an ihm vorbeispielt. Formal besticht "Psycho II" durch ausgeklügelte Kamerapositionen und Jerry Goldsmiths wohldosierte Musik über seine augenscheinlichen Schwächen hinaus, ehe er in einem hanebüchen-genialen Epilog zu später Hochform aufläuft.


70%

Psycho III (1986, Anthony Perkins)

Während Richard Franklins "Psycho II" noch als ambitionierter Versuch verstanden werden kann, Hitchcocks Meisterwerk zumindest inhaltlich fortzusetzen, gerinnt die Figur Norman Bates im dritten Film der Serie zum klischeehaften Prototyp und bewegt sich nur noch in den Pfaden zeitgenössischer Franchise-Killer, die schuldigen Teenagern nach dem Leben trachten. Anthony Perkins steuert sein offenbar zum Fluch verkommenes Alter Ego nunmehr auch hinter der Kamera mächtig über, um jede Abgründigkeit als Witz auszuweisen: Permanent zitiert "Psycho III" das Original und wiederholt dessen berühmte Dialoge, die als One-Liner und fast schon parodistische Einlagen nur noch zur Comedy taugen. Am Rande der Selbstvertrashung bedient der Film mit einer vollkommen abstrusen Slasher-Handlung und blödsinnigen Knallchargenfiguren nur noch Standards des Genres und gibt jeden Versuch seines Vorgängers, die grobschlächtigen Motive des Originals weiterzuspinnen, zum Abschuss frei. Der ganze Quatsch wird zusätzlich mit viel nackter Haut und der hässlichen Diana Scarwid als dahergelaufene Nonne garniert. Obwohl Perkins seinen Norman hiermit ins verdiente Aus befördert, sollte der Stoff mit einem vierten Film von Mick Garris noch einmal weiter trivialisiert werden. R.I.P., Mr. Bates.


30%

Psycho IV: The Beginning (1990, Mick Garris)

Unsägliches TV-Prequel zum Hitchcock-Klassiker, das die beiden offiziellen Fortsetzungen ignoriert und sich aus fragmentarischen Ereignissen zusammensetzt, die zeitlich vor dem ersten "Psycho"-Film liegen. Joseph Stefano, der Drehbuchautor des Originals, schildert Norman Bates jr. als entwicklungsgestörten Teenager zwischen Ödipuskomplex und Transvestitismus, der schon früh zu Mutters Perücke und dem scharfen Küchenmesser griff. So zumindest erinnert sich der mittlerweile verheiratete und in Kürze Vater werdende (!) Bates an die Geschehnisse seiner Jugend, während er in einer Radioshow seine Lebensgeschichte ausbreitet. Das selten dämliche Framing des Films, die schulbuchartigen Flashbacks und psychologisch hanebüchene Fortschreibung der Bates-Figur bezwingen den Mythos, so es denn überhaupt je einer war, formal und inhaltlich endgültig auf Soap-Opera-Niveau. Am Ende setzt Norman, den Perkins hier nur noch auf Autopilot schaltet, sein altes Mutterhaus in Brand, treibt sich die Dämonen der Vergangenheit aus und fällt seiner Ehefrau und Mutter in spe erleichtert in die Arme. Dass dieser infantile Schlusspunkt der Serie sich auch noch durchgehend der Originalmusik Bernard Herrmanns bemächtigen darf, setzt der Unverschämtheit nur die Krone auf.


10%

April 21, 2011

Kino: SANCTUM

Das Wichtigste gleich vorweg: James Cameron ist nicht der Regisseur dieses Films. Auch wenn sich der Verleih jede Mühe gibt, "James Cameron’s Sanctum" gewinnbringend über den Namen des 3D-Rudelführers zu vermarkten, ist er lediglich als einer von fünf ausführenden Produzenten an dem Projekt beteiligt. Die Nähe des Unterwasserhöhlen-Thrillers zum Schaffenswerk des derzeit erfolgreichsten Filmemachers der Welt ist aber sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Im gesamten Cameron-Kino spielt Wasser seit jeher eine tragende Rolle. Mit "The Abyss" hat er 1989 ein wegweisendes Tiefsee-Science-Fiction-Drama inszeniert, die "Titanic" flutete er mithilfe der größten Studiowassertanks der Filmgeschichte und in der Fortsetzung von "Avatar" wird er die digitale Meereswelt von Pandora erkunden. Da mag ihm dieser Testlauf, mit stereoskopischen HD-Kameras komplizierte Unterwasseraufnahmen herzustellen, gut ins Konzept gepasst haben.

Der Regisseur von "Sanctum" aber heißt Alister Grierson. Mit "Kokoda – Das 39. Bataillon" konnte der Australier vor fünf Jahren einen Achtungserfolg vorlegen, der ihn offensichtlich für die logistisch aufwändigen "Sanctum"-Dreharbeiten in Down Under empfohlen hat. Der Anreiz für das Projekt kam von Produzent und Cameron-Weggefährte Andrew Wight, der 1988 mit einer Gruppe von Menschen in einer unterirdischen Höhle eingeschlossen wurde und diese Erfahrung zu einem Spielfilm verarbeiten wollte.

23 Jahre später lässt er Grierson die Beinahe-Katastrophe von einst noch einmal in 3D nachstellen. Dieses Mal mit heftigen zwischenmenschlichen Konflikten, zahlreichen Toten und einem genretypischen finalen Akt, der jeder Beschreibung und erst recht vermutlich dem wirklichen Geschehen spottet. Anders als beim tatsächlichen Unglück, das für alle Beteiligten ein glimpfliches Ende fand, wurden die Ereignisse für "Sanctum" großzügig dramatisiert. "Nach einer wahren Begebenheit" liest sich schließlich immer schön – so wahr zumindest, wie Kino eben sein kann.

Im Film verhält es sich so: Eine Gruppe von teils professionellen Höhlentauchern möchte in Papua-Neuguinea ein bisher nicht erkundetes Tiefhöhlensystem erforschen. Als ein unvorhergesehener Tropensturm aufzieht, muss sie sich immer weiter in das labyrinthartige Innere der Höhle begeben, um den eindringenden Wassermassen zu entkommen. Begrenzte Energieressourcen und nur wenige Lebensmittel zwingen die Gruppe allmählich in eine Notsituation, in der sie nicht nur beginnt die Natur, sondern auch sich selbst zu bekämpfen.

"Sanctum" gelingen hierbei einige sehr schweißtreibende Momente. Was als Abenteuerexpedition beginnt, schlägt mehr und mehr zum Survival-Thriller um. Die Höhlen- und Unterwasserszenen spielen klaustrophobische Ängste effektiv aus. Wenn der Film Spannungsmomente in Schluchten, Wasserfällen und Gesteinsformationen konstruiert, wenn seine Helden zwischen Felsen, Stalaktiten und Engen um ihr Überleben kämpfen, funktioniert er als beklemmender Thriller. Als Mischung aus "The Descent" und "The Abyss". Der enorm starke 3D-Effekt, der das Bild nicht nach außen, sondern die Beengung simulierend ins Innere verlagert, hat daran großen Anteil.

Diese Momente allerdings sind rar gesät. Der Film gönnt sie sich nur, wenn seine Figuren mal die Klappe halten und auch tatsächlich etwas für ihr Überleben tun, statt die Situation endlos zu verbalisieren. In ihrer Schablonenhaftigkeit ist die Gruppe nahezu unerträglich, alle Figuren erweisen sich als reine Knallchargen und sind entsprechend den Klischees des Katastrophenfilms vom Reißbrett übernommen. Da duellieren sich der enttäuschte Sohn und sein abgebrühter Vater, deren Beziehung es zu verbessern gilt, muss ein nervtötender Technik-Nerd für Gags am laufenden Band sorgen oder eben der hinterlistige, profitorientierte Quotenmillionär die Mann- schaft gefährden. Und so weiter und so fort.

Die unglaubwürdige und nur unnötiger erzählerischer Emotionalisierung dienliche Vater-Sohn-Geschichte verlagert den Fokus des Films vom Kampf Mensch gegen Natur auf einen banalen Familienzwist, der mit hanebüchenen Dialogen unterfüttert wird (sinngemäß: "Ich konnte die Bedürfnisse deiner Mutter nie erfüllen, mein Sohn. Ich weiß ich habe versagt."). Lustig gemeinte Sprüche auf der Dialogspur wiederum lenken zusätzlich vom Wesentlichen ab und wecken den Wunsch nach qualvoller Verendung aller Beteiligten. Spätestens wenn das Erkunden der engen Höhlen von den Figuren vorzugsweise mit Anuswitzchen kommentiert wird, wünscht man sich sehnlichst James Cameron auf den Regiestuhl.


40% - erschienen bei: gamona

April 14, 2011

Zuletzt gesehen: SCREAM TRILOGY

Die mindestens 15. Sichtung, nun in sehnlicher Vorfreude auf Numero cuatro. Hommage, Paraphrase, Zerlegung, Deutung, Gedankenspiel, Happening, Ausschlachtung und Wieder- belebung des Slasherfilms als kompaktes Gesamtpaket. Das Regelwerk vor-, aus- und nachgestellt, bedient, gebrochen, verinnerlicht, parodiert und mit absoluter Ernsthaftigkeit umgeschrieben. Entrümpelung, Sortierung, Neuzusammen- setzung, und der Slasherfilm als feministisches Lustspiel noch mal anders gedacht. Ein Drehbuch, das sich alle Freiheiten zur postmodernen Fabuliererei gönnt, ein Regisseur, dessen langjähriger Diskurs um filmische Realitäten endlich gehört wird, ein Film, der sich vom Schrecken zur Hysterie und wieder zurück bewegt. Und der alles richtig macht und jeden Ton trifft. "Scream" ist pures 1996 und hat dennoch nicht einen Millimeter Staub angesetzt. Er ist anders als die vielen Filme, die in einem System aus Verweisen und Bescheidwissen um ihre eigene Identität kämpfen. Sein Konzept ist nicht reine Mechanik, hinter der jeder Ernst zurücktreten, jede Situation zur Anordnung und jede Figur zum Stereotyp verkommen müsse. Keine Dekonstruktion ohne Neukonstruktion. "Scream" ist ein Film voller Lebendigkeit vor einem ausgestorbenen Genre: Der glückselige Höhepunkt eines Kinos, das seine Filme nur noch als Produkte zur Schau zu stellen weiß. So rar, so schön, so Lieblingsfilm.


100%

Auf gute Laune getrimmte Fortsetzung einer beispiellosen Teen-Horror-Abhandlung, die ihr Bewusstsein, als postmoderner Film lediglich auf andere Filme reagieren und sich bestenfalls als originelle Neuzusammensetzung behaupten zu können, gegenüber dem Vorgänger noch einmal zu schärfen versucht. Das freimütige und recht ergebnislose Sinnieren über angebliche Sequel-Gesetze bemüht sich redlich, die eigentlich nur nachbuchstabierte Prämisse des ersten Films unter Verschluss zu halten. Tatsächlich fügt "Scream 2" der (bisherigen) Trilogie so wenig Nennenswertes hinzu, dass man ihn auch problemlos überspringen könnte. Für höchste Vergnüglichkeit sorgen sowohl die Film-im-Film-Elemente, als auch die stärkere Konzentration auf die komischen Aspekte der sich lediglich wiederholenden Geschichte, wodurch den Figuren der Serie einige amüsante Momente eingeräumt werden. Das wenig aufregende Finale spielt den Schluss des Vorgängers noch einmal unbeholfen nach (inklusive erneuter nur leichter Kratzer für das lieb gewonnene Pärchen Herr und Frau Arquette) und verrückt dessen selbstironischen Charakter in Richtung Eigenparodie. Angereichert mit zahllosen gekonnten Spannungsmomenten und ausgeglichenem Humor funktioniert "Scream 2" als hübscher Nachklapp, dem die Cleverness des ersten Films allerdings fast komplett abgeht.


60%

Mit der Ermordung einer zentralen Figur der beiden Vorgängerfilme gibt "Scream 3" gleich während der Exposition eine deutliche Richtung vor: Getreu dem selbst auferlegten Motto "Forget the Rules" erlaubt es sich Regisseur Wes Craven, seine zyklische Slasher-Vergnügung im dritten Anlauf gleich gänzlich ad absurdum zu führen. Den wenig ironischen Repetitionsgestus des zweiten Films beantwortet "Scream 3" mit bitterbösem Sarkasmus, indem er Filmfortsetzungen für mörderisch erklärt (das Drehbuch eines Film-im-Film-Sequels dient dem Killer als Anleitung) und sich als Parodie einer Parodie fröhlich selbst aufhebt (jeder Witz über "Stab 3" ist ein Witz über die eigene Trilogie und umgekehrt). Auf mehreren Ebenen multipliziert Craven sein ebenso augenzwinkerndes wie komplexes Spiel mit verschiedenen Realitäten (vgl. "Shocker", "New Nightmare" oder "My Soul to Take"), um anhand einer aberwitzigen Abrechnung mit der Genreindustrie ganz nebenbei noch die irrsinnigen Verknüpfungen zwischen Film und Wirklichkeit durch den Kakao zu ziehen. Er verdoppelt die Protagonisten der beiden Vorgänger und lässt die fiktiven Helden auf ihre noch fiktiveren Abziehbilder treffen. "Scream" und "Stab" kollidieren schließlich in einem nicht mehr differenzierbaren Filmuniversum und kommentieren sich unentwegt selbst. Dass es Craven gelingt, in all dem intellektuell stimulierenden Meta- Mischmasch sogar noch die Geschichte des ersten Films zu einem stimmigen und sogar emotionalen Ende zu führen, belegt einmal mehr dessen Meisterschaft als unverkennbarer und vielschichtiger Ausnahmeregisseur im Horrorfilm. Die absolute Ultrakunst.


90%

April 13, 2011

Kino: PAUL

Vor einiger Zeit noch stand der Nerd-Begriff für fachidiotische Außenseiter, die sich so sehr einer bestimmten Vorliebe verschrieben haben, dass ihre soziale Inkompatibilität zum wandelnden Klischee wurde. Heute scheint die tendenzielle Abschätzigkeit gegenüber Nerds der Glorifizierung eines charmanten Stereotyps gewichen. Längst schon feiern sie ein sich selbst behandelndes Kino, das mit Geschichten von Nerds und für Nerds die eigene Zielgruppe gleichzeitig repräsentiert und bedient. Zitierwütige Comic- und Filmfans sind zu Helden gereift, sie vergöttern nicht länger nur fachkundig Science-Fiction-Filme, sondern spielen nunmehr selbst die Hauptrolle in ihnen.

Die Alien-Komödie "Paul" ist reinstes Nerd-Kino. Sie wurde geschrieben von Simon Pegg und Nick Frost, die ihre nimmermüde Leidenschaft für Popkultur seit ihrer längst nicht mehr als Geheimtipp geltenden Britcom „Spaced“ fröhlich ausstellen, und inszeniert von Greg Mottola, der sich zumindest mit dem artverwandten Geek-Phänomen in seinen großartigen Filmen "Superbad" und "Adventureland" beschäftigte. Die geballte Fanboy-Kompetenz hinter "Paul – Ein Alien auf der Flucht" (Universal Germany – kein Verleih spinnt originellere Zusatztitel) gibt also schon mal eine gewisse Richtung vor: Ein Querverweis auf zwei Beinen, Film als reine Zitatensammlung und dazu ganz viel Extraterrestrisches.

Die britischen Sci-Fi-Freaks Graeme (Pegg) und Clive (Frost) reisen mit ihrem Wohnmobil quer durch die USA, von der Comic-Con in San Diego bis zur berühmten Area 51 in Nevada. Bei einem nächtlichen Unfall auf der Landstraße stoßen sie plötzlich mit dem Außerirdischen Paul zusammen (im Original gesprochen von Seth Rogen, in der deutschen Fassung leiht Bela B. dem kleinen grünen Männchen seine Stimme). Der Alien-Knirps sucht auf der Flucht vor dem FBI die Landebasis seines Mutterschiffs, um nach jahrzehntelangem Aufenthalt auf der Erde die Rückreise zum Heimatplaneten antreten zu können.
Graeme und Clive helfen dem altklugen Außerirdischen mit der Cargo-Hose auf Anhieb und erleben dabei einige halsbrecherische Abenteuer. Paul zeigt gern seinen Arsch, raucht am Lagerfeuer extrastarkes Gras und verdrückt mit seinen beiden neuen Freunden Bratwürste und Bier, während ihm eine skrupellose Alien-Sondereinheit auf den Fersen ist. Jene wird von einer mysteriösen Frau angeführt, die im Film lange Zeit nur als Stimme in Erscheinung tritt. Es gibt wahrscheinlich nur eine einzige Schauspielerin, deren finaler Star-Cameo in einer Alien-Komödie Sinn ergeben würde. Originell ist das nicht, überraschend noch weniger. Der irrwitzige Gastauftritt von Bill Murray in "Zombieland" bleibt wohl noch eine ganze Weile unberührt.
Als launiges Nerd-Ereignis mag "Paul" gut funktionieren, als Film ist er eine eher lahme Angelegenheit. Die Witze bewegen sich selten über pubertärem Gaga-Niveau, meist geht es um Titten, Pimmel und Polöcher. Brüche mit den klischeehaften Gags des Nerd-Kinos werden bestenfalls vage angedeutet, lediglich einige treffsichere Schwulenwitzchen können als sanfte Parodie auf die verklemmte Sexualmoral vergleichbarer Buddy-Komödien gelesen werden. Das aber gelang den beiden Hauptdarstellern unter der Regie von Edgar Wright in "Shaun of the Dead" und "Hot Fuzz" um einiges pointierter, ganz zu schweigen von den klugen Zerlegungsideen in den Filmen Greg Mottolas.
Stattdessen konzentriert sich "Paul" auf eine Aneinanderreihung von Referenzen, Zitaten und so vielen Insider-Jokes wie nur möglich. Berühmte Dialoge aus "Star Wars" ("Boring conversation, anyway.") oder "Aliens" ("Get away from her, you bitch!"), eine Nachstellung der (angeblich) schlechtesten Kampfszene aller Zeiten aus "Star Trek" – die hinreichend bekannten Vorbilder werden ausgiebig bemüht. Gerade in Verbindung mit der temporeichen Road-Movie-Geschichte erinnert das Rezitierpuzzle inklusive prominenter Gastauftritte an die Loser-Comedy "Fanboys", zu der sich "Paul" insgesamt wie ein unnötiger Nachklapp verhält.

Bei aller Sympathie für Filmfreaks im Allgemeinen und Pegg/Frost im Besonderen: Dieses ständige Drehen um die eigene Nerd-Achse verkommt in "Paul" mitunter zur reinen Masche, die weniger einen charmanten, als vielmehr ermüdend selbstgefälligen Eindruck macht. Das redundante Wildern in Film- und Serienzitaten gerinnt spätestens dann zur Belastungsprobe, wenn das Zitat als solches nur noch zur ungebrochenen Nachahmung führt: Die inflationären Spielberg-Verweise des Films beispielsweise gehen letztlich so weit, dass "Paul" seine Geschichte mit einer fast einstellungsgenauen Übernahme des "E.T."-Finales abschließt. Wenn das Zitat also für eigene erzählerische Defizite herhalten muss, entwertet es sich schlicht selbst.

Während ihrer Zusammenarbeit mit Regisseur Edgar Wright haben Pegg und Frost mehrmals bewiesen, dass nerdiges Popkulturwissen nicht nur selbstgenügsamen Slacker-Humor produzieren, sondern auch formale Komplexität, Intelligenz im Umgang mit den Vorbildern und letztlich auch herzhaften Charme zulassen kann. Nicht zuletzt das unterschied die Arbeiten der beiden Autoren und ihres Freundes Wright von den einfältigen Pillepalle-Komödien des Nerd-Urgesteins Kevin Smith, der ja ungepflegte Langweiler überhaupt erst zum salonfähigen Kult erklärt und damit im Kino weitere nicht enden wollende Ergüsse postmodernen Bescheidwissens in Gang gesetzt hat. "Paul" jedoch ist davon leider nicht mehr allzu weit entfernt.

40% - erschienen bei: gamona

April 11, 2011

Kino: LIMITLESS

Einhundertprozent ausgeschöpfte Hirnkapazität: Maximale Lernerfolge binnen kürzester Zeit, komplexe Sachverhalte, die wie Fingerübungen erscheinen, ungeahnte Karrierechancen. Ein Leben wie aus den Vollen geschöpft, auf der absoluten Überholspur. NZT macht es möglich, die leistungssteigernde Droge verschafft dem menschlichen Gehirn neue Möglichkeiten. Wer sie nimmt, kann es in wenigen Stunden zum Bestsellerautor bringen, hoch komplizierte Pianopartituren erlernen oder durch außergewöhnliches Geschick Millionen an der Börse umsetzen. Mit dieser faszinierenden und ebenso attraktiven wie unheilvollen Idee spielte Alan Glynns 2001 erschienener Erstlingsroman "Stoff", den Regisseur Neil Burger jetzt zu einem fiebrigen visuellen Wahrnehmungsrausch verarbeitet hat.

"Limitless" erzählt zunächst einmal die alte Geschichte vom erfolglosen Künstler. Eddie Morras (Bradley Cooper) ist Schriftsteller, er lebt in einer heruntergekommenen Bruchbude und verzweifelt an seinem noch nicht einmal begonnenen Buch. Seine Freundin hat ihn abserviert und sowohl Verleger als auch Vermieter sitzen ihm im Nacken – so weit die übliche unglückliche Autorenchose. Als Eddie zufällig auf seinen Ex-Schwager trifft, gibt dieser ihm eine neue Droge, die noch nicht auf dem Markt erhältlich sein und anders als alle bisherigen Rauschmittel wirken soll. Wenig beeindruckt und eher skeptisch nimmt Eddie die Pille in einer unüberlegten Situation ein.

Von einem Moment auf den nächsten macht der Schriftsteller eine enorme Wandlung durch. Er fühlt sich schlagartig energetisch, selbstbewusst, potent. Voller Tatendrang bringt er seine Wohnung auf Vordermann, beendet in wenigen Stunden seinen Roman und verwandelt sich vom erfolglosen Loser zum smarten Dandy. Als Eddie Nachschub benötigt, findet er seinen Freund in dessen Wohnung ermordet vor. Ungeachtet der möglichen Hintergründe lässt er eine ganze Tüte NZT mitgehen und setzt seinen Dauerrausch hemmungslos fort. Doch die Droge erzeugt Black-Outs und Erinnerungslücken: Auf seinem plötzlichen Erfolgsweg zum Wall-Street-Ass hat Eddie es mit undurchsichtigen Firmenchefs, einer gefährlichen Gangsterbande und schließlich rätselhaften Mordfällen zu tun.

Was erst einmal einen nur allzu konventionellen und moralischen Eindruck macht, schlägt im Verlauf der Handlung ein Dutzend unerwarteter Haken. Die zunächst noch gradlinige Geschichte des Films löst sich mehr und mehr in eine streng subjektive Erzählperspektive auf. So wie Eddie unvermittelt in sein vollkommen absurdes Drogenleben stürzt, so muss ihn der Zuschauer auf diesem Weg begleiten. Seine privaten und beruflichen Erfolge durchleben wir gemeinsam mit ihm, die Wahrnehmungslücken gerinnen auch für uns zu unerklärlichen Auslassungen. "Limitless" zwingt sein Publikum zur Co-Abhängigkeit: Einem Trip gleich inszeniert Burger den Film als intensiven Fiebertraum, dem man kaum vertrauen und ihm dennoch nur erliegen kann.

Dies ist einer der verrücktesten, originellsten und wagemutigsten Hollywoodfilme seit Jahren. Irgendwo zwischen "American Psycho" und "Fight Club" ist er Satire auf den Modern Way of Life, überdehnte Gesellschaftsutopie oder auch hemmungsloser Kommentar zur Wirtschaftskrise. Er karikiert den Erfolgsdruck der Managerwelt und die Klischees einer so genannten schnelllebigen Zeit, er ist der ironische Ausdruck eines geistigen Stillstands. Das alles sind Plattitüden, aber "Limitless" erklärt sie fast radikal herunter gebrochen zum unwirklichen Rauschzustand und stellt sie zugleich implizit infrage. Unbekümmert schickt er seinen Protagonisten und den Zuschauer auf einen (Ego-)Trip, der keine Grenzen kennt. Man kommt aus diesem Film getorkelt, als sei man zwei Stunden lang unbemerkt auf NZT gesetzt worden.

Neil Burger spielt für die Erschaffung eines subjektiven Amphetaminrauschs alle handwerklichen Karten aus. Eddies Blick bestimmt den Film, sein Empfinden wird zur übergeordneten ästhetischen Perspektive. Entsprechend energiegetrieben ist Burgers Regie, geradezu entschlossen folgt er seinem Konzept. Dazu zählen sowohl durchsichtige stilistische Merkmale wie beschleunigte Zooms oder eine klare visuelle Unterscheidung zwischen nüchternem und bewusstseinserweiterten Zustand des Protagonisten, als auch subtile und diffizile Spielereien mit Schnittfolge und Sounddesign. Burger gelingt es, die zusehends bewusst unlogische Handlung zu kaschieren, indem er mehrere Ebenen überlagert und Objektivität negiert. Weil er damit letztlich eine eindringliche Drogenwahrnehmung simuliert, kommt es auch zu keiner Diskrepanz zwischen der voll gepumpten Erzählfigur und ihrer innerfilmischen Umwelt.

Neben der beeindruckenden Inszenierungsfertigkeit von "Limitless" erstaunt vor allem seine Konsequenz. Er verlangt dem Zuschauer nicht nur einiges ab, wenn er die Drogenerlebnisse sukzessive intensiviert und dadurch jede Urteilsfähigkeit trübt, sondern auch, weil er seiner Figur und dem Zuschauer keine Fallen stellt. Dies ist womöglich einer der wenigen Filme, in denen hemmungsloser Drogenkonsum auch oder vor allem in letzter Instanz folgenlos bleibt. Und mehr noch, in denen konsequenter Erfolg und chemische Bewusstseinserweiterung sich untrennbar bedingen. Es ist ein fragwürdiger, aber auch faszinierend bitterer Eintrag in einer langen Liste von Filmen, die Drogenmissbrauch rein auktorial thematisieren, um damit eine bestimmte Meinung an der Welt festzumachen. "Limitless" ist ihr böser Gegenentwurf und vielleicht auch ultimativer Schlusspunkt.


80% - erschienen bei: gamona

April 05, 2011

Zuletzt gesehen: MATINEE

Nach der Fortsetzung seines 80er-Jahre-Hits "Gremlins" zur zügellosen Nummernrevue verrückter Einfälle und einem Beinahe-Overkill fantasievoller Spezialeffekte, schaltete Regisseur Joe Dante in "Matinee" wieder eins, zwei Gänge runter, um zu seinen filmemacherischen Wurzeln zurück zu kehren. In dieser nostalgischen Hommage an die eigene Kindheit wirft er einen fast intimen Blick zurück in die frühen 60er Jahre, als sich die amerikanische Bevölkerung während der Kubakrise in einem Ausnahmezustand befand. Dante verknüpft die kollektiven Ängste vor einem drohenden Atomkrieg interessanterweise mit einer Beschwörung an zeitgenössische Horrorfilme, die effektvoll gesellschaftliche Angstszenarien kanalisierten, während das Kino seine Position als Hort von Spektakel und Attraktion gegen das Konkurrenzmedium Fernsehen verteidigen musste. Die Verschränkungen von Genrefilm und politischer Realität, die nicht nur den jungen Dante, sondern auch viele Altersgenossen hinreichend beschäftigt und irritiert haben dürften, werden in "Matinee" auf eine amüsante, sentimentale und vor allem harmonische Art zugunsten des Kinos gelöst. Dessen eskapistische Möglichkeiten betont der Film insbesondere durch eine sehr freie, aber liebevolle Würdigung der Showmanship-Legende William Castle nachdrücklich: John Goodman spielt einen leicht verrückten Gimmick-Regisseur, der wie eine gute Seele über der Handlung thront und mit seinen Filmen eine vergnügliche Zuflucht vor den Schrecken der Wirklichkeit schafft, ohne diese auszublenden.


70%

April 02, 2011

Kino: WINTER'S BONE

Mit Filmen wie diesem verhält es sich immer relativ gleich: Unabhängig und kostengünstig produziert, gelingt es einigen wenigen unter ihnen, von einem Festivalpublikum und der entsprechenden Kritik wahrgenommen zu werden, um dann die Erfolgstreppe hin zu den hiesigen Filmpreisverleihungen hinaufklettern zu dürfen. Es gibt sie jedes Jahr aufs Neue, in der Regel kommen sie aus Sundance. Meist werden sie dann als Perlen des amerikanischen Independent-Kinos gefeiert, ernten prominenten Zuspruch und garantieren gut besuchte Programmkinos. Wenn ein Low-Budget-Film wie "Winter's Bone" für verschiedene Oscars nominiert wird, steht er plötzlich neben Hollywood-Prestige-Produktionen wie "The King's Speech" oder "Inception", hat es also von ganz unten nach ganz oben geschafft.

Seine irgendwann vielleicht einmal künstlerische Unabhängigkeit spielt dann keine Rolle mehr, weil er sich plötzlich dauerhaft in einem Umfeld kalkulierter Filme bewegt, die gedacht sind, ein breites Publikum mit verkleideten Konventionen zu erreichen, um diese nicht selten gewinnbringend in ihren Ansichten zu bestätigen. Einem Umfeld also, in dem Filme nicht selten funktionalisiert, für eine bestimmte Sache gedacht oder anderweitig kunstunfreundlich angelegt sind. Man ist geneigt daraus den Rückschluss zu ziehen,
"Winter's Bone" gleiche sich den Gesetzen jenes Pseudo-Indie-Kinos an, wie es die großen Hollywoodstudios mit ihren Sub-Labels seit Jahren bedienen. Er mag nicht als solches konzipiert sein, aber er scheint dennoch die richtigen Knöpfe zu drücken, wenn ihm medienwirksame Unterstützung von Kathryn Bigelow erlaubt ist, er einen Preis nach dem anderen absahnt und natürlich auch ein 4-Sterne-Review von Roger Ebert erhält.

Natürlich muss der Film deshalb keine Geistesverwandtschaft mit den radikal berechneten Mainstream-Arthaus-Produkten der Filmbosse pflegen. Und natürlich kann es einem "kleinen" künstlerischen Film gelingen, dass seine Darsteller in schicken Abendkleidern über die Red Carpets Hollywoods marschieren, obwohl er sich so sehr unterscheidet von allem, was sonst den Markt bestimmt. Aber leider ist "Winter's Bone" eben doch ein Film der Mechanismen, ein sozialgewichtiger, trister und bitterer Film, der unterm Strich alles richtig machen und es gut meinen möchte. Egal wie schlimm die Geschichte eines 17jährigen Mädchens, das im amerikanischen Hinterland allein für seine zwei kleinen Geschwister aufkommen muss, auch sein mag: Aus dem Kino geht man irgendwie mit einem guten Gefühl. Die Schrecken der weißen Unterschicht werden wohl dosiert, mit Klischees verformt und durch Empathie goutierbar gemacht.

Nur so vielleicht kann ein solcher Film funktionieren – bei den Oscars ebenso wie bei Mutti, die mit ihrer besten Freundin einen Kinoabend mit Anspruch eingeplant hat. White Trash, aber bitt
e nur mit Happy End. Die bedenkliche Proportionalisierung bzw. Verfemdung, mit der dieser und vergleichbare Filme ihre Sujets bearbeiten, ist so wenig neu wie nun sonderlich aufregend. "Slumdog Millionaire" wurde zum Hit, weil selbst in Scheiße badende Kinder noch den in schmuckvolle Bilder gehüllten Spaß ihres Lebens hatten. Christian Bale gewann für "The Fighter" einen Oscar, weil er sich erst energisch herunterspielt zum drogenabhängigen Unterschichtenboxer, um dann nach erfolgreichem Entzug wieder ein emotionales Gleichgewicht herstellen und normative Erwartungen erfüllen zu können. Jede Geschichte muss ihre Erfolge sicherstellen, ihr Mindestmaß an Entgegenkommen.

"Winter's Bone" ist nicht gänzlich misslungen, aber er betreibt mit vielen seiner Bilder die gleiche Ausstellung von Armut wie andere wohlfeine Sozialdramen. Er bedient einige schlimme Klischees, wenn Kinder in Hungernot Eichhörnchen häuten und verspeisen müssen, oder wenn die Protagonistin in die Fänge inzestuöser Hinterwäldler gerät. Das ist alles mehr als dick aufgetragen, auch wenn sich Regisseurin Debra Granik um leise Töne bemüht und auf allzu ausgespielte Sentimentalitäten verzichtet. Indem sie den Film nahe am Western mit einigen Thriller-Konventionen aufzieht (das 17jährige Mädchen sucht ihren verschwundenen kriminellen Vater, um Haus und Hof nicht zu verlieren), drängt sie die soziale Relevanz der Geschichte allerdings ebenso in die Beiläufigkeit wie die nach Authentizität buhlende Darstellung der weißen Unterschicht in Missouri. "Never ask for what ought to be offered", heißt es zu Beginn – solche gemütlichen Weisheiten können sich nur Drehbücher erlauben.


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- erschienen bei: Reihe Sieben

Zuletzt gesehen: FILME IM MÄRZ 2011


Starship Troopers

(USA 1997, Paul Verhoeven) (5/10)

Mars Attacks!
(USA 1996, Tim Burton) (8/10)

Zoolander
(USA 2001, Ben Stiller) (4/10)

Justin Bieber: Never Say Never
(USA 2011, Jon Chu) (5/10)

Limitless
(USA 2011, Neil Burger) (8/10)

Hatchet II
(USA 2010, Adam Green) (5/10)

Terminator 2: Judgment Day
(USA 1991, James Cameron) (9/10)

Drive Angry 3D
(USA 2011, Patrick Lussier) (4/10)

The Fighter
(USA 2010, David O. Russell) (3/10)

Season of the Witch
(USA 2010, Dominic Sena) (2/10)

Sanctum
(AUS/USA 2011, Alister Grierson) (4/10)

Prey
(USA 2003, Ti West) (6/10)

The Roost
(USA 2004, Ti West) (5/10)

Trigger Man
(USA 2007, Ti West) (7/10)

Joan Crawford: The Ultimate Movie Star
(USA 2002, Peter Fitzgerald) (6/10)

Sucker Punch
(USA/CAN 2011) (1/10)

Winter's Bone
(USA 2010, Debra Granik) (4/10)

The X Files – Season 7
(USA 1999, Rob Bowman, Kim Manners u.a.) (6/10)

The X Files – Season 8
(USA 2000, David Duchovny, Kim Manners u.a.) (6/10)

The X Files – Season 9
(USA 2001, Chris Carter, John Shiban u.a.) (5/10)

April 01, 2011

Zuletzt gesehen: THE FIGHTER

Einfältiger und höchst alberner Erbauungskitsch aus dem Hause Weinstein, der nach dramaturgischem Baukastenprinzip alle ausgedienten Boxfilmklischees noch mal neu aufsagt und sich in seiner Hollywoodesken Vor- wie Nachstellung von White Trash von einer Sackgasse in die nächste manövriert. Selbst noch als gähnend konventionelle Award-Winning-Chose betrachtet ist die verlogene Siegermentalität in Kombination mit ihrem sozialpornographischen Elendsanspruch eine reine Zumutung, die nur von ihrem hilflos in Armutskostüme geschmissenen Ensemble unterboten wird. Insbesondere Christian Bale changiert infolge erneuter Schauspieldefizite über die Grenzen des Over-Actings hinaus zwischen Körperschändung und Grimassenausstellung: Wie schon in "The Machinist" meint er sich in eine gebrechliche Figur einfühlen zu müssen, indem er sich eine Anorexie antrainiert. Statt einen abgehungerten Menschen zu spielen, will Bale also offenbar lieber ein abgehungerter Mensch sein. Das alte Method-Acting-Missverständnis noch mal um sich selbst gedreht. Zumindest stellenweise allerdings empfiehlt sich "The Fighter" dank einiger unmöglicher Gross-Out-Momente – in einer denkwürdigen und vollkommen sinnentleerten Szene prügelt beispielsweise ein Haufen Frauen aufeinander ein – als vergnüglicher Oscar-Trash.


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