Mai 07, 2010

Kino: SURVIVAL OF THE DEAD

Kein Filmemacher spielt in der Entwicklung des modernen "New Horror"-Kinos, das die tradierten gotischen und surrealen Formen des klassischen Horrorfilms mit den Realitäten der sozialen Gegenwart konfrontierte (und damit unweigerlich ablöste), eine so tragende Rolle wie der Pittsburgher Regisseur George A. Romero. Über vierzig Jahre sind vergangen, seit er mit "Die Nacht der lebenden Toten" einen der einflussreichsten Filme des Genres geschrieben und inszeniert hat. Seine radikale Umdeutung des Zombie-Motivs verband er mit einem zutiefst pessimistischen Gesellschafts- und Menschenbild: Es war der Beginn eines nie wieder so fruchtbaren Horrorkinos, das in den 70er Jahren die Ängste junger wilder Grenzgänger in phantastische Paradigmen übersetzte.

Zu seinem 70. Geburtstag nun hat sich Romero einen persönlichen Traum erfüllt: Er hat einen Western gedreht, mit deutlichen Anleihen bei Howard Hawks’ "Rio Bravo". Im Mittelpunkt steht dabei eine kleine Insel an der Küste Nordamerikas, um deren Besiedelung zwei rivalisierende alte Haudegen einen erbitterten Kampf führen. Die Ironie dieses Zwistes: Die Frontiere werden früher oder später ohnehin von lebenden Toten unterwandert. Denn wie uns Romero in späteren Ausschnitten seiner zeitlich durcheinander gewürfelten Zombiefilme gezeigt hat, wird letztlich ganz Amerika – und getreu der US-Kinogesetzmäßigkeiten damit schließlich auch die ganze Welt – von Untoten heimgesucht. Die entsprechenden apokalyptischen Zustandsbeschreibungen lieferte der Regisseur vor allem in "Day of the Dead" (1985) und "Land of the Dead" (2005), der dritten und vierten Episode seiner nunmehr sechsteiligen Saga über die lebenden Toten.

Nach "Night", "Dawn", "Day", "Land" und "Diary" nun also "Survival of the Dead", eine weitere Variation, ein Zombiewestern. Der Film knüpft relativ unmittelbar an den Vorgänger an, der als Auftakt einer neuen Trilogie wieder bei Null begann: Der mürrische Colonel Crocket (Alan Van Sprang) blickt noch einmal auf den plötzlichen Ausbruch der Zombieseuche in "Diary of the Dead" zurück, während die Rückkehr der Lebenden von den Toten nunmehr alles Sein und Tun bestimmt. Wie in Romeros bisherigen "Dead"-Filmen geht es hier zuallererst um neue logistische Herausforderungen: Wie sich organisieren in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, wie verlässliche soziale Gefüge bilden, um der Lage irgendwie Herr zu werden.

Crocket ist hier, trotz seines anfänglichen Off-Erzähltextes, jedoch nur eine Figur am Rande, eine unter vielen, die ums Überleben kämpfen. Im Mittelpunkt der Handlung steht Patrick O'Flynn (Kenneth Welsh), ein mürrischer Eigenbrötler, der sich von seinem Rivalen, dem despotischen Seamus Muldoon (Richard Fitzpatrick), von jener Insel vertreiben lassen musste, die noch Schutz bietet vor den lebenden Toten. Schwimmen (wie in "Land of the Dead") können die Zombies offenbar noch nicht, und die wenigen Untoten auf der Insel werden in Pferdeställen gehalten oder anderweitig in Ketten gelegt. Muldoon nämlich ist im Gegensatz zu seinem Widersacher davon überzeugt, dass für das Phänomen ein Gegenmittel gefunden würde und man die munteren Verschiedenen noch irgendwie retten könne. Eine spannende und neue Frage in Romeros Zombiezyklus: Der lebende Tote als nicht länger nur defekter, subjektloser Mensch.

Romero spinnt die Entwicklung der Zombies auch dahingehend weiter, quasi innerhalb seiner ganz eigenen filmischen "Evolution der Untoten", als er abermals Perspektiven einer Koexistenz zwischen Menschen und auferstandenen Toten eröffnet. Er deutet hier nun einen Bruch in der Nahrungskette der Zombies an, wenn diese, so sie schon kein menschliches Fleisch zwischen die Zähne bekommen (Romero beschrieb das Fressverhalten der lebenden Toten einmal als reflexartiges Überbleibsel aus ihren Tagen des Menschseins), sich auch auf Tiere zu stürzen beginnen. Diese Idee griff bereits Tom Savini recht deutlich in seinem 1990 gedrehten Remake von "Night of the Living Dead" auf.

"Survival of the Dead" bleibt sonst aber der Linie der bisherigen Zombiefilme Romeros treu. Erneut liefert er nur episodenhafte Einblicke in den ganz normalen apokalyptischen Überlebensalltag. Und erneut lässt er eine Gruppe unterschiedlicher Menschen zusammen kommen, die aufgrund von Spannungen und Ressentiments vor allem eine Bedrohung für sich selbst bilden. Da ist es nur konsequent, und hierin mag ein Grund liegen, warum der Film es selbst bei eingefleischten Fans schwer hat, dass die lebenden Toten nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Sie sind beiläufige Statisten, die sich ihr Menschenfleisch kaum noch erkämpfen müssen – es kommt letztlich ganz von allein zu ihnen: Soziale Gebilde sind bei Romero stets instabil, und oft gänzlich zum Scheitern verurteilt.

In dieses Konzept möchten dann auch keine allzu ausgespielten Action- und Splattereinlagen passen, die Gewalt hat sich in Romeros Zombiesaga mit jedem Film weiter verselbstständigt, sie ist nunmehr so allgegenwärtig, dass sie kaum noch eine konkrete Rolle spielt. Damit entfernt sich "Survival of the Dead" natürlich noch mehr von einem Publikum, das an neuere Zombiefilme gewisse Erwartungen stellt, und sei es auch nur, dass sich die Untoten wie in Zack Snyders "Dawn of the Dead"-Remake im Speed-Modus bewegen. An der ästhetischen und dramaturgischen Verformung des Zombiestoffes beteiligt sich Romero, glücklicherweise, nach wie vor nicht. Schließlich treibt er den Gorefaktor noch weiter ins Absurde: Das digitale Blut spritzt hier fast nur in Verbindung mit einem sehr speziellen Slapstickhumor.

In seinem sechsten "Dead"-Film beackert Romero also erneut das Feld der lebenden Toten, und das mit aller Konsequenz und Weiterführung. Formal hat sich der Regisseur endgültig der quasi ausweglosen Lethargie seiner Figuren und Gesellschaftsmodelle angeglichen. Seine souveräne und überlegte Regie wirkte selten so entschleunigend und damit adäquat gegenüber den nihilistischen Zuständen, die seine Zombiefilme bestimmen. Es ist, ganz schlicht, ein weiterer toller Beitrag zum nie enden wollenden Filmzyklus der Untoten. Das nächste Kapitel ist schon aufgeschlagen.


70% - erschienen bei: gamona


Anlässlich des neuen Zombiefilms ist im kuk-Verlag das Buch "George A. Romero und seine Filme" von Georg Seeßlen erschienen. Meine Besprechung dazu findet sich hier.