August 15, 2009

Kino: THE HURT LOCKER

Nie hat sich Hollywood so zügig und zahlreich der Traumata im eigenen Land angenommen. Nie haben so schnell so viele Filme den gesellschaftlichen Wandel zu erfassen, nie die Auswirkungen eines US-Krieges so sehr ins kollektive (Kino-)Bewusstsein zu rücken versucht wie in den vergangenen Jahren. Zahlreiche Autorenfilmer meldeten sich zu Wort, mit Filmen wie "United 93", "World Trade Center", "Rendition", "In the Valley of Elah" oder "Redacted", noch bevor überhaupt ein Ende der Intervention im Irak absehbar sein konnte. All diese Arbeiten waren kommerzielle Misserfolge, ob starbesetzt oder nicht, und all diese Filme hatten trotz unterschiedlichster formaler Ansätze wenig bis gar nichts mitzuteilen über den so genannten Krieg gegen den Terror, den internationalen Konflikt, „das zweite Vietnam“. So sinnfällig ihre Zwischenmeldungen erscheinen mochten, der fehlende zeitliche und räumliche Abstand hat keine allzu tiefsinnigen Reflexionen hervorgebracht – und so verstanden sich diese Filme offenbar als politisches Sprachrohr, gleich wenn sie angesichts ihrer von banal ("Lions for Lambs") bis reaktionär ("The Kingdom") changierenden Erkenntnisse besser hätten schweigen sollen.

In der Post-Bush-Ära, eingeleitet sogleich mit einem verkündeten Rückzug amerikanischer Truppen aus dem Irak, werden die Geschichten im Konfliktherd munter weitererzählt, selbst wenn man dazu in der Zeit um einige Jährchen zurückgehen muss, wie in Kathryn Bigelows erster Langfilmregiearbeit seit sieben Jahren. Mit unmittelbarer Handkamera rückt sie einem auf Bombenentschärfung spezialisierten Sondereinsatzteam im irakischen Kriegsgebiet auf die Pelle: Gemeinsam mit ihnen lässt sie den Zuschauer durchs Zielfernrohr blicken, sich hinter Mauern verstecken oder minutenlang Zünder deaktivieren, während ihr Objektiv hautnah jedes Hitzeflimmern, jede Schweißperle und jedes Staubkorn ins Visier nimmt. Die Geschichte ist eine Abfolge von Aufträgen: Deeskalation und Detonation im Alltag einer Soldatentruppe, die die Tage rückwärts zählt – bis zum ersehnten Nullpunkt, an dem sie wieder nach Hause dürfen.
So vermittelt "The Hurt Locker" in erster Linie Stimmungsbilder, während die Erzählstruktur einem episodischen Erfahrungsbericht gleicht, der nüchtern und fast dokumentarisch den lebensgefährlichen Alltag der Soldaten wiedergibt. Aus dieser nervenaufreibenden Lebensgefahr leiten einige von ihnen, insbesondere die zentrale Figur im Mittelpunkt des Geschehens, Bombenspezialist Sergeant William James, hingegen einen Nervenkitzel ab, der sie mit offensichtlich überlebenswichtigem Adrenalin versorgt. Der Krieg sei eine Droge, heißt es ganz zu Beginn des Films – William James ist ihr verfallen. In einem gigantischen, an alte Science-Fiction-Märchen erinnernden Schutzanzug nähert er sich seinen "Babys": In einer Szene nimmt er wider Befehlslage ein ganzes Auto auseinander, zerrupft und verbiegt und demoliert alles, um den Zünder der Bombe ausfindig zu machen – das Erfolgserlebnis als Selbstbefriedigung, deren Kontext oder politischer Bezug, eigentlicher Auftrag oder Sicherheitsmaßnahmen in weite Ferne gerückt sind.

Folgerichtig konzentriert sich Bigelow auf die Erlebnis- und Wahrnehmungsebene ihrer Figuren, ohne zu konkretisieren, Stellung zu beziehen oder ideologische Sichtweisen in ihren Blick zu mischen. Gerade durch diesen inszenatorischen Verzicht ist ihr mit "The Hurt Locker" natürlich dennoch ein enorm politischer Film geglückt: So widersprüchlich und irrational die Aktionen ihrer Soldaten dem Zuschauer erscheinen müssen, so eindrucksvoll verortet der Film sie in einem komplexen Gewebe aus körperlichen Grenzerfahrungen und seelischen Narben. Wenn Sergeant James zurück in der Heimat gelähmt vor einem riesigen Regal Cornflakes im Supermarkt steht, dann ist zwar alles im Überfluss vorhanden – gegen die quälenden Wunden jedoch hilft nur die Droge, die Rückkehr ins Kriegsgebiet. 365 Tage bis zum Abzug, die Zeit läuft wieder rückwärts.

80% - erschienen bei den: 5 Filmfreunden