Juli 01, 2008

Kino: ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE

Nachdem der Teen-Slasher Ende der 80er-Jahre erst erfolgreich zu Grabe getragen, dann durch Wes Craven und Kevin Williamson in den Mit-90ern revitalisiert und endgültig zur postmodern-ironischen Zone erklärt wurde, er schließlich auch die Gewaltästhetik für sich wieder entdeckte und nunmehr in den Niederungen streng konventioneller, zum "Friday the 13th"-Regelwerk zurückgekehrter Retro-Schlitzer- filme ("Prom Night", "April Fool’s Day") oder ebenso ritueller, weil durch Sequel-, Prequel- oder Remake-Einbindung klassischer Vorbilder festgeschriebener, munter brutaler Neo-Splatterfilme angekommen ist ("Hostel", "Texas Chainsaw Massacre: The Beginning") – der Teen-Slasher also nach seiner Totsagung noch die ein oder andere Initiation über sich ergehen lassen musste (wo er doch eigentlich für seine Beständigkeit gemocht wurde!) – da muss nun schleunigst ein Neubeginn her, ein frischer Ansatz, ein Post-"Scream", der nicht bedingungslos in alte Muster verfällt, sich dem Sujet aber auch ebenso wenig ausschließlich selbstironisch und damit letztlich unernst und distanziert nähert. "All the Boys Love Mandy Lane" von Jonathan Levine könnte dieser Film sein: Die Ehrenrettung des amerikanischen Slasherfilms.

Dabei unternimmt Levine erst einmal alles, um den Film nicht in die Nähe der Genrekonventionen zu bringen. Was hier mithilfe nostalgischer Bilder von High School-Riten und Party People-Jungvolk zwischen emotionaler Statik und willenloser Fügung ins Typenmuster der Loser, Aufreißer und Chick Flicks, sowie sentimentalen Singer-Songwriter-Klängen zunächst zum melancholischen Coming-Of-Age-Film gedeiht, beginnt ebenso unberechenbar wie eigentlich auch unmotiviert rasch zum reinrassigen Stalk’n’Slasher umzukippen. Ehe der Film seiner eigenwilligen Erzählweise mit bewussten Tempowechseln also eine logische – will heißen: entlang gängiger Genrebahnen verlaufende – Richtung vorgibt, wandelt er irgendwie zwischen "The Virgin Suicides" und dem "Texas Chainsaw Massacre". Man möchte meinen, "All the Boys Love Mandy Lane" ist die erste wirkliche Teenfilm-Hybride aus radikalem Schlitzer-Horror und sinnlichem Drama. Als eine Art Neuverhandlung adoleszenter Passageriten aus jugendlicher Schuld und Unschuld, Sinn- und Identitätssuche, dem Zwang der Klassen- und Rollenmuster, dem Hedonismus und Puritanismus – der ganzen absurden Widersprüchlichkeit also, derer sich die Jugendlichen im US-Genrekino so ausgesetzt sehen.

"All the Boys Love Mandy Lane" ist somit in gewisser Hinsicht der Versuch, den Teen-Slasher seiner Oberflächlichkeit zu berauben. Die Jugendlichen bei Levine entsprechen nicht den gängigen Klischeeprofilen. Eingeführt als promiskes Sauf- gelage, deren ausgiebiges Sündigen schon deshalb mit dem Tod bestraft gehört, damit die Leinwand von diesen holzschnittartigen Arschlochfiguren endlich befreit wird, bürstet Levine die Opfer in spe schließlich allesamt gegen den Strich: Das koksende It-Girl verbirgt hinter ihrer selbstge- rechten Makellosigkeit nur angeklebte Tittenvergrößerungen und sehnt sich eigentlich nach bedingungsloser Nähe, wenn sie nackt aus dem Fenster in die schwarze Nacht starrt, während der eitle Schönling der Gruppe hinter Macho-Sprüchen und Pimp-Chauvinismus ein großes Problem mit seinem kleinen Problem hat. Dass diese lonesome teens, die dem depressiven Gus-Van-Sant-Mikrokosmos eines "Paranoid Park" näher stehen als ihren Abziehbilder-Kollegen des eigenen Subgenres, alle dennoch sterben müssen – und das durchaus auch unter Einsatz der zwingenden Genrekonnotationen (nach dem Blow-Job bekommt ein Opfer einen riesigen Gewehrkolbenphallus in den Rachen gedrückt) – ist dabei natürlich unabdingbar. Die im Slasher-Duktus fest verankerte Opferwahl wird hier zwar augenzwinkernd kommentiert, indem der Killer ein T-Shirt mit der Aufschrift "natural selection" trägt, dennoch ist "All the Boys Love Mandy Lane" immer noch ein Slasher-Film, der sich ernst nimmt, trotz oder gerade wegen seines Spiels mit Versatzstücken.

Nur, warum lieben eigentlich alle Boys die Mandy Lane? Wohl deshalb, weil sie erschreckend schön ist. Weil sie unnahbar ist und unschuldig. Und natürlich, weil sie das absolute final girl des Horrorfilms repräsentiert: Prüde, frigide, jungfräulich – die fleischgewordene Männerfantasie. Anhand seiner Mandy Lane erlaubt sich der Film schließlich die nach Genreregeln unver- blümteste und cleverste Reflexion: Sie, die Identifikationsfigur des (großteilig männlichen) Publikums, diejenige, die der Psychokiller in einem Slasherfilm am meisten begehrt, als letzte jagt und am vehementesten traktiert, nur um an ihrer stärksten Waffe – der Bigotterie – zugrunde zu gehen, sie ist die größte Umkehrung in diesem Film. Weil zwar alle Jungs Mandy Lane lieben, aber Mandy Lane nicht alle Jungs ("let’s just be friends"). Die in einer Szene angedeutete lesbische Zuneigung zu ihrer Freundin ist da vielleicht noch die geringste Genre-Impertinenz, wenn Levine letztlich sogar den Diskurs des konservativ-reaktionären Slashers von hinten aufrollt und dem obligatorischen Überleben der braven Jungfer einen ganz anderen Grund einräumt – nämlich deren Nähe zum Killer, der auf alles sexuell Verdrängte mit pervertierter Gewalt reagiert. Mit seinem inhaltlich völlig unmotivierten, ja gar sinnfälligen, formal aber zwingendem Schluss ist dieser stilbewusste wie -betonte Film deshalb jene Neuanordnung des Genres, die selbiges auch dringend gebraucht hat. Indem Levine die genreimmanenten Abfolgen auf den Kopf stellt, durchschüttelt und letztlich doch sich selbst überlässt, ist er ein mustergültiges Beispiel für den postmodernen Umgang mit dem Teenfilm und ein weitgehend ironiefreies Äquivalent zu "Scream".


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