März 11, 2008

Kino: LARS AND THE REAL GIRL

In "Edward Scissorhands" verhandelte Tim Burton den Ein- bruch des Fremden in die vermeintliche Wirklichkeit. Ein hageres Geschöpf wurde der bunt-uniformen Kleinstadt- gemeinschaft vorgestellt, skeptisch bekundet, umringt und schließlich als andersartiger Besucher mit Wunschvorstel- lungen erlösender Sexualität und von der keimfreien Idylle abgrenzender Lebenslust aufgeladen. Trotz seiner liebens- werten, humorvoll-skurrilen und mit schrulligen Figuren ausgestatteten Erscheinung war dies nicht zuletzt Ausdruck eines verächtlichen Blickes auf bürgerliche Verlogenheit und Provinzwahnsinn, in seiner betonten Künstlichkeit zudem weniger moralischer Appell als traumhaft schönes Märchen. Der Film "Lars and the Real Girl" erzählt auch von einem solchen Außenseiter, von einem leicht autistisch wirkenden Büroangestellten, dessen eigene Wahrnehmung im Wider- spruch zu seinem Erscheinungsbild steht.

Die Waage zwischen verschrobenem Witz und bewegender Außenseiterode versucht Regisseur Craig Gillespie hier ebenfalls im Gleichgewicht zu halten, doch sein Film über einen jungen Mann, der in der Garage seines Bruders und dessen Ehefrau wohnt, und übers Internet seine neue Freundin, eine lebensgroße Silikonpuppe, "kennen lernt", möchte vor allem das Herz berühren. Er soll bewegen, den Zuschauer für die ungewöhnliche Geschichte empfänglich machen, und er soll Mitleid erzeugen mit seiner Titelfigur Lars, dem unverstandenen, eigenwilligen Mann, dessen schüchterne Gestik und introvertierte Sprache von Ryan Gosling mit sichtlicher Freude am Zeigen von Können umgesetzt werden. Dass dieser Lars seine Gummipuppe Bianca wie einen lebenden Menschen behandelt, ist nur eine der Facetten, die bei ihm eine schwere psychische Störung, vermutlich ein durch den Tod der Mutter bedingtes Kindheitstrauma, vermuten lassen. Bianca ist eine Ersatzfigur, eine Projektion gegen die Einsamkeit, ein deutlicher Ausdruck dafür, dass diesem jungen Mann irgendwie geholfen werden sollte.

Abgesehen vom reichlich unsubtilen und leider nicht wirklich komischen Ansatz, die imaginierte Liebe zu einer Puppe als Zeichen eines Unverstandenseins, als plakativer Wink mit dem Zaunpfahl anzulegen, beschreitet "Lars and the Real Girl" anders als ein "Edward Scissorhands" hier jedoch recht eigenwillige Pfade. Was der Film möchte, ist ohnehin von Anfang an klar, eine rührselige Parabel über Ausgrenzung und Einsamkeit stünde ihm gut, und das ist sowieso derart ehrenwert und ambitioniert, dass der Zweck die Mittel zu heiligen scheint. Denn wie Gillespie und seine Autorin Nancy Oliver (deren "Six Feet Under"-Qualitäten hier irgendwo verloren gegangen sein müssen) da zum Ziel kommen wollen, ist an abstruser Unglaubwürdigkeit und lächerlicher, gezwun- gener Konstruktion nur schwer zu ertragen: Der Film krankt nicht nur an seinem grundsätzlich absurden Thema, sondern vor allem an seinem Umgang mit diesem Thema. "Lars and the Real Girl" spekuliert, entweder kalkuliert oder wirklich von Naivität verblendet, darauf, die erzählte Geschichte eines realitätsfernen Mannes und seiner geliebten Puppe als gegeben zu akzeptieren, ihr bereitwillig zu folgen und in den Kanon der mitleidigen Liebenswürdigkeit einzustimmen.

Dabei kann der Film doch nicht ernsthaft glauben, er zeige mit seiner verlogenen Haltung Aufrichtigkeit: Wenn die geschlos- sene Ortsgemeinschaft Lars’ Freundin als neues Mitglied einweiht, sie auf Partys eingeladen und mit Krankenwägen chauffiert, sie also von einer gesamten Kleinstadt genauso behandelt wird wie von ihrem Besitzer Lars, dann fragt man sich doch, wie viel Doofheit erlaubt sein darf für eine nett gemeinte Außenseitergeschichte. Wo Filme ähnlichen Sujets, seien es nun die Arbeiten Tim Burtons, sei es Henry Kosters "Harvey" oder Richard Kellys "Donnie Darko", ihre Ausgangs- idee dafür verwenden, entweder auf den Seelenzustand ihrer Figuren aufmerksam zu machen, oder deren Umfeld gewitzt zu denunzieren, als vigilantes Spießbürgertum zu entlarven, stimmt "Lars and the Real Girl" eine dissonante, völlig daneben gehauene Ode auf die Suburbs an. Da wartet man fast zwei Stunden darauf, dass endlich mal jemand die Klappe aufmachen und dem Jungen wirkliche Hilfe zukommen lassen wird, während selbst geschultes Arztpersonal die im großen Stil aufgezogene Puppennummer – angeblich – zugunsten der Figur unterstützt. Doch kann dem verstörten Mann diese absurde Haltung doch unmöglich gut tun: Und wo der Film offensichtlich möchte, dass wir das Spiel genauso mitspielen wie das Kleinbürgervolk es tut, da wünscht man sich eigentlich nur, dass diesem Lars doch irgendwann auch noch einmal professionelle Hilfe vergönnt sein darf.


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