April 02, 2007

Retro: KEN PARK (2002)

Um Larry Clarks "Ken Park" haben sich seinerzeit einige lebendige Diskurse konstruiert, die ihm schließlich auch den Griff nach der heiß ersehnten Skandalfilm-Etikette erleich- terten – obwohl sich Sinn oder Unsinn derartiger Betitelungen für gewöhnlich erst später ergibt. Nach nunmehr fünf Jahren schon ist selbst von den provokanten Hülsen des Films nicht mehr viel übrig. Unverhüllte Bilder hemmungslos fickender Teenager mögen vielleicht den Rahmen des US-amerikani- schen Independentfilms ausgedehnt haben, das europäische Kino hingegen ging und geht mit ihnen ganz selbst- verständlich um. Deshalb vertieft sich der Blick auf Clarks Generationsstudie: Wenn die Vordergründigkeit der nackten Ausbeutung kaum mehr interessiert, beginnt im Dahinter eine Suche nach Thesen. Nur allzu viel Gehaltvolles wird man dabei leider nicht finden: Skandalös ist an "Ken Park", dem Abschluss von Clarks Teenage Trilogy, bestenfalls dessen banale Prüderie.

Schon nach wenigen Minuten sucht der Film nach Ausdruck. Die Titelfigur schießt sich in den Kopf, das kommt so unvermittelt wie grundlos und ist der erste große Effekt eines Werks, das sich mit illustren Mitteln von der Hand seines Zuschauers immer wieder wird losreißen wollen. Dieses erste Statement möchte "Ken Park" womöglich als radikale Studie positionieren – der frühe und hässliche Tod der Titelfigur ist ein Kommentar, einer gegen das Kino. Und trotzdem befindet Clark sich hier in seinem adäquatesten Bewegungsraum, von der Welt der Galerien hat sich der Photograph abgekehrt, um seine Auffassung von Gesellschaft als Filmemacher bebildern zu können. Die Unterstützung durch den Kameramann Edward Lachman ("Far from Heaven") als Co-Regisseur verleiht dem Projekt eine filmische Visualität und widerspricht damit gleichzeitig dem Realismusanspruch: Clarks Film ist ein Produkt kompletter Verfremdung, das dem Irrglauben untersteht, es wahre ähnlich wie "Kids" eine Identität als schonungslose Generationsstudie.

Der inhaltliche Unterschied zu dessen erster Regiearbeit von 1995 liegt in der Betrachtung nicht mehr nur jugendlichen Verhaltens, sondern auch das der fürsorgepflichtigen Eltern. Diese sind zumeist sexuell frustriert und schlafen entweder mit den Freunden oder Freundinnen ihrer Kinder, vergehen sich des Nachts gleich selbst an ihnen oder binden sie in inzestuösen Eheschließungen symbolisch an sich selbst. Das alles geschieht in "Ken Park" und soll Rückschlüsse auf die Kids in "Kids" zulassen: Diese sind demnach die schuldlose Ausgeburt einer üblen Masse aus Päderasten und Geistes- gestörten. Sie erscheinen deshalb als brutale und rücksichtslose Teenager, weil sie sich eigentlich nur nach ein wenig unbeflecktem Kindsein sehnen: In einer Episode tritt der Junge Tate, der sich beim Masturbieren selbst strangu- liert, seine liebenswerten Großeltern regelmäßig beschimpft und ein isoliertes Leben in seinem Zimmer führt, vor die Tür des Hauses und möchte lediglich mit den kleinen Springseil- Mädchen spielen.

Das ist nur ein kleiner Teil aus der Welt der Jugendlichen, wie sie sich ein 60jähriger Larry Clark vorstellt. Doch er zeigt, welche Widersprüchlichkeit sich aus dieser Altherrenphantasie ergibt. Dass Clark nämlich die Frustriertheit der Eltern und damit ihren Missbrauch an den Kindern anklagt, ausgerechnet jedoch diese Figur zum kaltblütigen Mörder am Vormund werden lässt, erscheint rätselhaft. Selbst wenn der Tod der sorgenvollen Großeltern nur der Demonstration dient, dass auch die unschuldigen Eltern Opfer einer vom Wertezerfall und an sich selbst erkrankten Gesellschaft werden können. Hier liegt aber auch das grundsätzliche Problem von "Ken Park": Er erklärt vermeintlich negative oder zerstörerische Werte als Stein des Anstoßes eines gesellschaftlichen Verfalls. Dabei konstituiert sich eine sozial funktionale Interaktion von Menschen, also ein System namens (Mittelstands)Gesellschaft, wie es im Zentrum dieses Films steht, doch gerade aus den hier so bieder angeprangerten Zuständen. Nicht etwa weil die Eltern eine monströse Normativität formen, ist die hier geschilderte Welt ein Hort bizarrer Unebenheiten, sondern im Gegenteil, ihre – sicher fragwürdigen, aber dennoch ersetzlichen und vor allem überwindbaren – Verhaltens- und Erziehungsmuster tragen zum stabilen Gerüst genau dieser Gesellschaft bei.

Dass die Kinder sich aus den Fängen ihrer Eltern deshalb mit ach so subversivem Sex befreien (der freizügige Dreier zum Ende soll es beweisen), ist nur plumpe Romantisierung, hinter deren mit allerlei Bedeutung geschwängerter Offenheit eine seltsame Verklemmung ruht. Clark hat nämlich nicht wirklich einen Grund für das fatalistische Unverhältnismäßige seiner Figuren – da wirkt die Dämonisierung gänzlich üblicher Familienprozedere, deren ein Teil der pädophile Vater ebenso wie die untreue Ehefrau und Mutter sind, nur wie ein fadenscheiniger Vorwand, um Jugendliche im Fetischlook abzulichten. Clark ist nicht nur ein Voyeur, der seinen Figuren grundlos auf die Pelle rückt, sondern letztlich vor allem ein puritanischer Hysteriker: Da stellt sich weder die Frage nach Moral oder Unmoral, noch hat das irgendetwas mit Provo- kation zu tun. "Ken Park" begreift nur ganz einfach nicht, dass die Muster seiner mittelständlerischen Akteure die normalsten der Welt sind.

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