Januar 08, 2007

Kino: RUNNING WITH SCISSORS

Die psychedelischen 70er-Jahre bilden den zeitlichen Rahmen für die Tragikomödie „Running with Scissors“, hierzulande eher hanebüchen mit „Krass“ betitelt, der Verfilmung von Augusten Burroughs Autobiographie. Als kleiner Junge hin- und hergerissen zwischen den Fronten seiner verzweifelten Mutter und dem alkoholsüchtigen Vater, landete Burroughs schließlich in der Familie eines Psychotherapeuten und deren verrückt-sympathischen Anhängern. Seiner Homosexualität ist sich der junge Mann schnell sicher, nur die Selbstverwirklichung und Loslösung von seiner paranoiden Mutter fällt ihm ungleich schwerer. Der Film entstand in enger Zusammenarbeit mit Burroughs, obwohl ganze Figuren gestrichen oder hinzugefügt wurden, und ist die erste große Kinoarbeit für Ryan Murphy, der sich durch seine bizarr-zynische Serie „Nip/Tuck“ als Spezialist für schrullige Typen empfahl.

Doch ganz ähnlich wie andere (vermeintliche) Abgesänge auf Familie und Tradition, genannt sei beispielsweise Todd Solondz’ „Happiness“, gelingt die Balance zwischen ehrlich-rührseliger und beißend exzentrischer Generationsstudie zu keiner Zeit. Selbst als skurrile Coming-Of-Age-Geschichte scheitert „Running with Scissors“ durch seinen maßlos überzogenen Entwurf von Welt und Mensch, forciert mit beharrlicher Penetranz die Emotionen der Zuschauer. Und wie eben im obigen Beispiel verrät er dabei jede seiner Figuren, verkauft sie an plumpen Zynismus, um zu schocken, zu amüsieren oder irgendwie anders auf sich aufmerksam machen zu wollen, und geht dabei vor allem ganz mächtig auf die Nerven.

Denn so quirlig und gern auch charmant manch einer dieser Charaktere daherkommen mag, sie werden nur benutzt für übertriebene Effekte: Die Familiendramen dieses Films, die sich mitunter jenseits der Grenzen zum unfreiwilligen Humor abspielen, wo alle schreien, weinen, mit Dingen um sich werfen und sich möglichst ausgeflippt aufführen, die sollen Zerrissenheit und Verzweiflung dieser Figuren demonstrieren, doch stellen nur deren Innenleben zur Schau, um an den denkbar unpassenden Stellen makabere Lacher ernten zu können. Das funktioniert vielleicht bei den spießigen Monstern in „Nip/Tuck“, doch hat hier denselben faden Beigeschmack wie in „American Beauty“, der es ebenfalls verstand, die eigentliche Tragik seiner Gesellschaft durch pietätlose Komik zu verzerren. Und wieder spielt Annette Benning die frustrierte Ehefrau, doch anders als in ihrer feinen, sehr nuancierten Rolle in Sam Mendez’ Film verschreibt sie sich hier unkontrolliertem Over-Acting. Als neurotische Mutter Burroughs’ gelingt es ihr leider nie, die Gespaltenheit ihres Charakters zu verdeutlichen.

Dabei pendelt Murphy mit sicherlich besten Absichten, aber allzu unentschlossen zwischen alberner Überspitzung und mehrdimensionalem Tiefgang hin und her, seine mal liebevollen, mal sehr anstrengenden Figuren erscheinen darin insgesamt nur wie bloßes Mittel zum Zweck und werden regelrecht verscherbelt. Mitunter wirkt „Running with Scissors“ wie eine Farce, die unkonzentriert und ziellos inszeniert ist. Die Bebilderung des Zeitgeistes hat sogar äußerst unangenehme Konsequenzen: All die schrulligen, aber unterschiedlich gescheiterten Existenzen werden als Opfer ihrer eigenen sexuellen Revolution gezeichnet. Der Befreiung aus autoritären, patriarchalischen Strukturen muss offenbar ungehemmter Drogenkonsum und lautstarke Selbstzerstörung folgen. Die verniedlichenden Jukebox-Songs sollten da nicht trügen – Murphys Film ist überaus fragwürdig geraten.

4/10